Authentisch sein
Authentizität bedeutet zu sich selbst zu stehen und dieses Selbst wahrhaftig auszudrücken, mit allem, was zu diesem Selbst gehört an Gedanken, Werten, Emotionen, Bedürfnissen und Überzeugungen. Und danach zu handeln. Unabhängig vom äußeren Druck. Gruppenzwang kann die Authentizität unterdrücken. Das Verhalten authentischer Menschen wird nicht von außen beeinflusst, sondern enstspringt aus ihnen selbst.
Authentisch sein hat viel zu tun mit Kongruenz – wenn das, was ich denke, sage, fühle, an Werten in mir habe und auch tue, in Übereinstimmung miteinander, kongruent sind, dann bin ich authentisch. Authentische Menschen wirken ruhig und gelassen und „echt„, weil sie ein ruhiges Selbstvertrauen ausstrahlen, ihre Stärken und Schwächen kennen und dazu stehen. Sie wirken vollkommen ungekünstelt, weil sie keine Masken aufziehen, sondern so sind, wie sie sind. In ihrer Gegenwart fühlt man sich wohl. Vor allem, weil sie in sich ruhen und sind , wie sie sind und besonders, weil sie nicht bedürftig sind. Sie handeln, nicht, um anerkannt zu werden oder um wahrgenommen zu werden. Sie handeln, weil sie davon überzeugt sind, ohne dass sie dafür Applaus erwarten oder benötigen.
Ruth Cohn, Begründerin der „Themenzentrierten Interaktion“ spricht von einer „selektiven Authentizität“. Damit meint sie, dass es manchmal klug ist, nicht das zu sagen, was man denkt. Es gibt Situationen und Menschen (bspw. der Chef), bei denen es sinnvoll ist, nicht alles zu sagen, was ich denke und fühle. Das mag auf einen Anderen unehrlich wirken. Oft dient es aber dem eigenen Schutz, denn wer mag schon alle vier Wochen eine neue Arbeitsstelle suchen, nur weil man dem Chef unverblümt gesagt hat, was man denkt.
Es ist wesentlich, das, was man sagt, in achtsame Worte zu kleiden. Jemand, der sagt, was er denkt, egal, ob die Worte einen Anderen verletzen, ist nicht authentisch sondern unsensibel. Authentische Menschen wissen um die Verletzlichkeit von sich selbst und Anderen und werden dementsprechend achtsam und mitfühlend kommunizieren.
Wir alle haben verschiedene Rollen inne: Tochter, Sohn, Eltern, Geschwister, Arbeitnehmer, Kunde, Partner/in – wenn ich authentisch bin, unterscheide ich mich in all diesen Rollen nicht wesentlich voneinander. Ich werde in jeder Rolle verschiedene Verantwortungen haben und unterschiedliche Aufgaben, es ist jedoch so, dass ich immer ich selbst bin, wenn ich authentisch bin. Ich habe verschiedene Rollen, trage aber keine Maske, hinter der ich mich verstecke. Authentisch sein bedeutet keine Masken zu tragen.
Kernis und Goldmann, zwei Sozialpsychologen, haben vier Kriterien entwickelt, die erfüllt sein müssen, damit ein Mensch sich selbst als authentisch erlebt und einen anderen als authentisch erkennen kann.
- Bewusstsein. Ein authentischer Mensch kennt sich selbst, er weiß um seine Stärken und Schwächen und nimmt sie an. Er kennt seine Gefühle, die konstruktiven und die destruktiven und kann mit ihnen umgehen. Er kennt die Motive, die ihn zum Handeln bewegen, auch hier die konstruktiven und die destruktiven und kann sie steuern. Und er kann sich und sein Handeln reflektieren.
- Ehrlichkeit. Ein authentischer Mensch kommuniziert ehrlich, offen und transparent. Er ist ehrlich sich selbst gegenüber, auch wenn das manchmal schmerzhaft ist, erkennt die Realität an und kann auch Kritik und kritische Rückmeldungen annehmen und konstruktiv damit umgehen.
- Konsequenz: Ein authentischer Mensch handelt nach seinen Werten und Überzeugungen, steht zu sich und dem, was er denkt und fühlt und lebt nach seinen Prioritäten, die er sich gesetzt hat – und das selbst dann, wenn es ihm eventuell Nachteile bringt. Er passt sich nicht an und hängt sein Fähnchen nicht nach dem Wind. Es gibt das Gegenteil eines authentischen Menschen und das ist der Opportunist, der sich je nach Lage und Stimmungsbild jeweils anders verhält und somit nie als er selbst mit seiner Meinung erkennbar ist. Wenn er denn so etwas überhaupt hat. Opportunisten sind scheinheilig, handeln stets nach Wetterlage und schauen auf die Vorteile, die ein bestimmtes Handeln einbringen. Und so handeln sie dann auch, ob es ihrer Überzeugung entspricht oder nicht.
- Aufrichtigkeit. Ein authentischer Mensch zeigt sich mit dem, was er ist, mit seinen Stärken und Schwächen, in seinen Beziehungen und in Begegnungen offen und transparent. Er verleugnet sich nicht, auch dann nicht, wenn er mit dem, was er ist und aufrichtig von sich zeigt, nicht gut ankommt.
Es ist elementar, dass diese Eigenschaften auch wirkliche Eigenschaften eines Menschen sind und dass er nicht schauspielert. Dies erspürt man jedoch rasch. Man merkt, ob jemand authentisch ist an der Ruhe, Gelassenheit, der Offenheit und Echtheit, die er ausstrahlt.
Je mehr wir uns selbst kennen lernen mit allem, was zu uns gehört, je mehr wir zu uns und unseren Werten und dem, was wir sind und uns originär ausmacht, stehen, desto authentischer werden wir. Und je authentischer wir werden, um so mehr ermutigen wir Andere dazu, authentischer zu werden.
Ein Problem für unsere Authentizität sind unsere Ängste und Befürchtungen: Was denken die anderen von mir? Halten die mich für altmodisch oder verrückt? Nehmen sie mich ernst? Werde ich gemocht, wenn ich sage, was ich denken? Wenn ich gut zu mir stehen und mich lieben kann, werde ich immer unabhängiger von der Meinung anderer. Es mag sein, dass sich die Anzahl der “ Freunde“ reduziert, wenn ich authentischer werde und zu dem stehe, was mir wichtig ist. Es gibt im Leben jedoch sowieso nur ein oder zwei Menschen, die wirklich da sind, wenn man sie braucht und die Auszeichnung „Freund“ wirklich verdienen und ausfüllen.
Es ist bedeutsam, sich selbst wahrzunehmen, wenn ich authentisch oder nicht authentisch bin. Was unterscheidet sich? Wie fühle ich mich in der jeweiligen Situation? Was bin ich lieber? Wo möchte ich authentischer sein? Wie gelingt mir das? Kann und möchte ich riskieren, dann eventuell „Freunde“ zu verlieren oder auf Applaus zu verzichten?
Wenn ich lerne, authentischer zu werden, zu dem zu stehen, was ich wirklich bin, meine Werte zu leben und auszudrücken, dann ist es wichtig, dass ich gut und freundlich zu mir selbst bin, denn es wird immer Tage oder Momente geben, in denen ich nicht ich selbst sein konnte oder wollte, eine Maske aufgesetzt und mich angepasst habe, den Mut nicht hatte, meine ehrliche Meinung zu sagen und dazu zu stehen oder mich zu zeigen. Dann hilft es, mit Milde und Güte auf mich selbst zu schauen. Weil das auch dazu beiträgt, dass ich andere Menschen milde und gütig wahrnehmen kann. Was ich anderen gebe, hängt maßgeblich davon ab, was ich mir selbst an Zuneigung gebe und ob ich mir selbst gegenüber milde und freundlich sein kann.
© Marion Schronen