Weltschmerz
Es gibt einen Schmerz, den wir spüren, wenn wir uns die Welt anschauen und die Menschen in ihr, die sich gegenseitig verletzen, zerstören, beherrschen und töten.
Wir Menschen zerstören den Planeten, auf dem wir leben und schon die Überlegung, ob man nicht weniger Plastikverpackungen kaufen könnte, legt man aus Bequemlichkeit beiseite.
Wir Menschen gehen unachtsam mit unseren Worten um und sind erstaunt, „wie empfindlich doch der wieder ist“, „war ja nur Spaß“, „mein Gott, ist die heute wieder drauf“, „ich habe es doch nicht so gemeint, muss man jetzt jedes Wort auf die Goldwaage legen!“
Kinder werden misshandelt und missbraucht, Männer und Frauen werden von ihren Partnern geschlagen, manche bis zur Bewusstlosigkeit und haben nicht die Kraft, sich zu trennen.
Menschen werden gefoltert und gequält.
All das geschieht, manches in kleinen Dimensionen in unserem Alltag, manches in großer Dimension auf der Welt.
Sich diesem Schmerz zu stellen, heißt, ihn wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Es heißt aber nicht, ihn so in sich aufzunehmen, dass die eigene Seele diese Schmerzen vollständig übernimmt und aushalten muss. Das hält sie nicht aus. Und es bringt der schmerzenden Welt nichts, wenn ich daran zugrunde gehe.
Es geht darum, die Unachtsamkeit der Menschen zu sehen und die Menschen dennoch zu lieben und das Gute in ihnen nicht zu übersehen.
Und es anders zu machen. Achtsamer zu sprechen, den Menschen mit Güte und Mitgefühl begegnen. Um den Schmerz in der Welt nicht noch größer zu machen, sondern ein wenig zur Linderung und Heilung bei zu tragen. Etwas tun, was mich mit Sinn erfüllt und über mich hinausweist. Beruflich oder in meiner Freizeit.
Es geht darum, die schmerzende Welt zu sehen und Heilendes zu tun: Weniger Plastik und biologisch angebaute Lebensmittel kaufen, Strom sparen, sich dem Konsum verweigern (man zieht sowieso meistens die liebsten 3 Pullis und Hosen an, die im Schrank hängen) oder Second Hand Klamotten kaufen.
Es gibt viele kleine Schritte, die wir gehen können. Und die Kraft hierfür bekommen wir nur, wenn wir den Schmerz spüren, aber ihm nicht die Kraft geben, uns Energie zu rauben. Es genügt, dass der Welt die Energie entzogen wird. Unserem Innern darf das nicht geschehen, weil wir sonst nicht hilfreich sein können.
Gestutzte Eiche
Wie haben sie dich, Baum, verschnitten,
wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
bis nichts in dir als Trotz und Wille war!
Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
gequälten Leben brach ich nicht
und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.
Was in mir weich und zart gewesen,
hat mir die Welt zu Tod gehöhnt.
Doch unzerstörbar ist mein Wesen,
ich bin zufrieden, bin versöhnt,
Geduldig neue Blätter treib ich
aus Ästen hundertmal zerspellt.
Und allem Weh zu Trotze bleib ich
verliebt in die verrückte Welt.
Hermann Hesse, Juli 1919
Wir können den Menschen und dieser Welt nur helfen, wenn wir in unserer Kraft und in der Liebe bleiben. Momente der Verzweiflung und Resignation gehören dazu und sind auch unerlässlich, weil wir Menschen mit einem berührbaren Herzen sind. Diese Momente dürfen aber keinen großen Raum über eine lange Zeit hinweg in uns bekommen, weil sie uns uns sonst lähmen. Als Anstoß und Motivation sind sie durchaus hilfreich, damit wir etwas dagegen tun. Denn hilfreich sind wir dann, wenn wir das Schmerzende sehen und Heilendes tun. Und Heilendes können wir dann tun, wenn wir in unserer inneren Ruhe, Stärke und in der Liebe sind und bleiben. Heilendes können wir jeden Tag tun: Heilende Worte sprechen zu denen, die verletzt sind. Heilende Umarmung geben, denen, die einsam sind. Heilendes tun , wo Klima und Ressourcen mit Füßen getreten werden.
Wenn wir uns dem Kreislauf von Zerstörung und Schmerzen entziehen, aus dem Kreislauf der Wut und der Unachtsamkeit heraustreten, von außen drauf schauen, liebend beobachten und dann heilend eingreifen, behutsam und mit einer tiefen Güte im Herzen, dann ist der Weltschmerz immer noch da und nicht kleiner geworden, er hat aber eine Chance auf Heilung, weil wir in unserer Kraft und in der inneren Haltung bleiben, auf das zu schauen, was stärkt.
© Marion Schronen