Haltung und Hilfsmittel
Zeitlupe, Bewusstheit und Selbstkenntnis
Kommunikation ist ein komplexes Feld. Watzlawick meinte, dass man nicht nicht kommunizieren könne. Wir kommunizieren also ständig. Mit anderen, mit uns selbst oder mit Autofahrern, die uns nicht hören können (was meistens auch gut so ist!). Wir kommunizieren mit Worten, ausgesprochenen wie auch mit denenn die zwischen den Zeilen hängen, mit Mimik, Gestik und Körpersprache.
Alleine daran wird deutlich, auf wie vielen Ebenen etwas gelingen oder misslingen kann. Wir sprechen mit einem blinden Menschen anders als mit einem sehenden Menschen, mit einem hörgeschädigten Menschen anders als mit einem Menschen, der ein intaktes Hörvermögen hat. Wir reden anders mit unseren Kindern als mit unseren Partnern (hoffentlich) und anders mit unseren Kollegen als mit unseren Chefs (auch hoffentlich). Konfliktgespräche laufen anders als Beziehungsgespräche (manchmal ist das auch ein- und dasselbe) und diese wiederum anders als Therapiegespräche oder Gespräche mit einem sehr vertrauten Menschen.
Dass bei so vielen Ebenen und hoher Komplexität dennoch viele Gespräche ganz gut laufen, ist erstaunlich. Wir alle kennen aber auch Missverständnisse, Trennungen, weil Paare nicht mehr miteinander reden konnten, ohne zu streiten, misslungene Konfliktgespräche, in denen der Konflikt eher größer als kleiner wurde, Kränkungen, Verletzungen und nicht aufgelöste Auseinandersetzungen.
Es gibt jedoch Haltungen und „Hilfsmittel„, mit denen es uns gelingt, unsere Kommunikation zu verbessern: Zeitlupe, Bewusstheit und Selbstkenntnis.
Zeitlupe
An einem Gespräch sind immer mindestens zwei Menschen beteiligt, außer bei Selbstgesprächen. Streng genommen gibt es bei den Selbstgesprächen, die wir führen, auch immer zwei Beteiligte: Mich und die Stimme, die zu oder mit mir spricht, die meistens identisch ist mit der Stimme der Eltern oder anderer wichtiger Bezugspersonen aus der Kindheit.
Wenn wir ein Gespräch führen, ist es wichtig, dass wir wirklich präsent sind und nicht wieder gedanklich auf dem Sprung in ein nächstes Gespräch. Nur durch Präsenz, durch das Dasein im Hier und Jetzt, können wir dem Gespräch folgen. Dem, was der Andere sagt und dem, was ich antworte.
Es ist sinnvoll, sich vor jedem wichtigen Gespräch innerlich vorzubereiten und damit meine ich innerlich. Kognitiv haben wir unsere Argumente und Standpunkte meist gut zurecht gelegt. Was jedoch ein Gespräch viel wesentlicher beeinflusst, ist alles das, was was unbewusst innerlich mir und auch im Anderen abläuft.
Und bei dieser innerlichen Vorbereitung kann und die Zeitlupe hilfreich sein. Wir können die Zeitlupe einschalten, wenn wir verstehen möchten, was wir in ein Gespräch mit bringen und was in einem Gespräch wesentlich (unbewusst, unbeobachtbar und sehr schnell im Innern von allen Beteiligten) abläuft! Wenn wir in einem Gespräch sind, hören wir, was der Andere sagt (Zuhören ist eine Kunst, der ich mich in einem gesonderten Artikel zuwende) und antworten wir oder entgegen etwas. Dieser Austausch ist beobachtbar. Und dennoch gibt es Gespräche, in denen irgendwo irgendetwas geschieht – unbewusst, unbeobachtet, nicht greifbar – was das Gespräch misslingen lässt.
Was ist geschehen? Wir glauben, wir hören etwas und reagieren darauf. ABER zwischen der Äußerung eines Anderen und dem, was ich daraufhin sage, liegen viele andere Sequenzen, die wir in der Schnelligkeit nicht bewusst erkennen können. Wenn einer etwas sagt, müssen wir nicht sofort drauf reagieren. Wir können einmal tief ein- und ausatmen, dem nachlauschen, was der Andere gesagt hat und dann erkennen, was in uns abläuft (und wissen, dass das genauso im Anderen abläuft): Es entstehen Gedanken („Was redet der denn da, ist er nicht vorbereitet? Sie versteht einfach nicht, was ich meine, das ist immer so!“). Wir sehen weiterhin, dass Glaubenssätze in uns auftauchen („Da hätte ich mich perfekter vorbereiten müssen. Ich muss klug antworten, damit der Andere mich mag und anerkennt!“). Aber nicht nur Glaubenssätze tauchen auf, sondern auch erlebte und innere Muster, die wir aus unserer Biographie gelernt haben, entstehen in uns („Wenn ich nicht sofort antworte, denkt er sicher, ich sei dumm, das war schon in der Grundschule so. Menschen sind grundsätzlich schlecht und wollen mir nichts Gutes). Daraufhin entstehen Gefühle (Angst, Groll, Wut, Abscheu). Und erst nachdem das alles in uns entstanden ist, reagieren wir und antworten. Wir reagieren nämlich nie auf die Situation sondern immer aufgrund dessen, was in uns durch die Situation an Gedanken, Glaubenssätzen, Muster und Gefühlen entstanden ist. Und das alles erkennen wir nur, wenn wir die Zeitlupe einschalten.
Bewusstheit und Selbstkenntnis
In einem Gespräch bringen die Beteiligten ihre eigene Biographie, ihre eigene Stimmungslage, ihre rhetorische Fähigkeit oder Unfähigkeit und all das mit, was man als Mensch so im seelischen Gepäck (meistens ist es deutlich schwerer als das Handgepäck) über die Jahre hin angesammelt hat und mit schleppt.
Nun ist es so, dass man kaum sich selbst kennt, um wie viel weniger dann den anderen. Umso bedeutsamer ist es, mich selbst kennen zu lernen und mir bewusst zu werden, was ich alles mit bringe und vor allem, warum ich in einem Gespräch sage, was ich sage und warum ich so reagiere. In der Zeitlupe haben wir bereits gesehen, was alles in einem Gespräch innerlich abläuft.
Was wir mitbringen und zeigen oder verdecken, können wir uns vorstellen wie einen Eisberg, bei dem man nur die Spitze, also 1/4, sieht und die restlichen 3/4 des Eisberges unter Wasser liegen. Meist sehen wir bei dem Anderen nur die Spitze und auch wir geben uns dem Anderen meist auch nur mit unserer Spitze zu erkennen. Bei vertrauten Menschen zeigen wir auch mehr von uns. Es ist jedoch elementar, dass wir um diese offenen und verdeckten Anteile in uns wissen.
Spitze des Eisberges über dem Wasser, offen und sichtbar, ca. 20 %:
- Name, Titel, Beruf
- Argumente, Informationen über Projekte
- Mimik, Gestik, Körperhaltung
- Stimmlage, Lautstärke
Rumpf des Eisberges unter dem Wasser, verdeckt und unsichtbar, ca. 80 %:
- Werte, Normen
- Einstellungen und Grundhaltungen
- Biographie, Verletzungen, seelische Wunden und wunde Punkte
- Familiäre Situation
- Gefühle und Bedürfnisse
- Existentielle Fragen und spirituelle Haltung
- Aktueller Druck, unter dem man steht
- Mangelnde Anerkennung
- Konflikte in Familie, unter Kollegen, im Verein
- Sorgen
- …
Es ist also sehr viel mehr verdeckt, als offen und sichtbar in einem Gespräch und bei Begegnungen. Das ist auch gut so, denn so schützen wir uns. Wir offenbaren uns nicht Jedem und das ist auch nicht immer und überall sinnvoll sondern kann auch sehr unangenehm werden. Wir alle kennen Menschen, die uns bei einem ersten Gespräch so viel von sich und ihrem Leben offenbaren, dass es uns unangenehm ist, wenn wir nicht gerade als Therapeuten oder Therapeutinnen tätig sind.
Um sich nun selbst besser kennen zu lernen, müssen wir uns zu allen vier Zwischensequenzen Fragen stellen, denn durch Fragen kommen wir uns selbst auf die Spur:
Gedanken:
- Welche Gedanken tauchen oft bei mir auf?
- Denke ich häufiger positiv oder negativ?
- Mache ich mir oft Sorgen?
- Habe ich gedankenfreie Zeiten oder denke ich ständig über irgendetwas nach?
- Welche Gedanken tauchen automatisch in mir auf?
- Kann ich meine Gedanken stoppen?
- Kann ich meine Gedanken bewusst neu ausrichten?
- Kann ich meine Gedanken kontrollieren und steuern?
Glaubenssätze:
- Welche Glaubenssätze habe ich (Ich bin dumm. Ich habe es nicht verdient, erfolgreich zu sein. Ich bin nutzlos. Früher war alles besser. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Es darf mir nicht gut gehen. Es wäre besser, wenn es kein Geld gäbe. Die Welt ist kein sicherer Ort. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr usw.) Es ist wichtig, diese Glaubenssätze zu identifizieren, denn Glaubenssätze sind so unumstößlich und starr, dass sie unsere Entwicklung blockieren können. Gute und konstruktive Ansichten sind immer flexibel und niemals starr.
- Welcher Antreiber lebt in mir? („Beeil dich!“, „Sei perfekt!“, „Sei stark!“ „Sei gefällig (everybodys darling!“ Streng dich an!“)
- Kann ich die Glaubenssätze, die mich schwächen, umwandeln in Sätze, die mich stärken? (Ich bin dumm – ich bin lernfähig! Es darf mir nicht gut gehen – auch ich verdiene es, glücklich zu sein.)
- Kann ich meine Antreiber identifizieren und sie bremsen?
Innere Muster (in der Kindheit erworben):
- Was haben meine Eltern mir mitgegeben?
- Wie habe ich als Kind Strafen erlebt?
- Wurde ich oft gelobt?
- Hatte ich viele Freunde?
- Was habe ich am meisten in Erinnerung?
- Kann ich die hinderlichen Muster erkennen und durch brechen?
Gefühle und Bedürfnisse:
- Kann ich meine Gefühle wahrnehmen? Körperlich? Mental? Seelisch?
- Kann ich meine Gefühle benennen?
- Habe ich viele unterschiedliche Gefühle?
- Kann ich gut mit meinen Gefühlen umgehen? Sie regulieren? Sie wahrnehmen? Sie ernst nehmen? Sie annehmen und anschauen?
- Kann ich meine Gefühle ausdrücken?
- Kann ich meine Gefühle zurück halten und an einem sichereren Ort herauslassen?
- Kann ich meine Bedürfnisse wahrnehmen?
- Kann ich meine Bedürfnisse äußern?
- Kann ich meine Bedürfnisse erfüllen?
- Kann ich Bedürfnisse unterdrücken?
Wenn wir uns selbst besser kennen lernen, werden wir immer bewusster und können somit besser kommunizieren und besser zuhören, denn alles das, was in mir lebt, lebt genau so in den Anderen. Wir alle haben Glaubenssätze, die uns stärken und welche, die uns schwächen. Wir alle haben Gedanken, die uns Kraft geben und welche, die uns Energie rauben. In uns allen leben Muster aus der Vergangenheit, die uns manchmal zu automatischen Reaktionen veranlassen. Und jeder von uns hat Gefühle und Bedürfnisse, die wir wahrnehmen, ernst nehmen, ausdrücken und regulieren können, damit wir Schöpfer und keine Opfer unserer Emotionen und Bedürfnisse sind.
Durch das bewusste Ausrichten von Gedanken, durch die Zeitlupe, Selbstkenntnis und der dadurch gewonnenen Bewusstheit werden unsere Gespräche intensiver und konstruktiver und wir haben mehr Empathie für den Anderen, weil wir um das wissen, was in uns lebt an Verletzungen und hemmenden Glaubenssätzen. Wir werden durch dieses Wissen gütiger und mitfühlender und werden friedvoller miteinander sprechen.
© Marion Schronen