Intro
So, wie es Einstellungen, Emotionen und Haltungen gibt, die den Seelenfrieden nähren, gibt es auch Emotionen, Einstellungen und Haltungen, die den inneren Frieden hemmen, ihn erschweren und somit Hindernisse für den inneren Friedend darstellen.
Das ist keine Bewertung oder Verurteilung, sondern eine Tatsache. Das ist, wie es ist. Wenn ich weiß, warum ich innerlich unruhig bin oder wann ich unfriedlich, gestresst, genervt, ungerecht und unruhig werde, dann ahne ich auch, dass ich durch das Gegenteil dessen der inneren Ruhe näher komme. Oder durch das Annehmen der Hindernisse und der dabei aufkommenden Gefühle.
Wenn ich weiß, wie ich mit meinen Schattengefühlen und dem, was meinen inneren Frieden hemmt, klug und achtsam umgehen kann, damit ein Gefühl wahrgenommen wird und sich dadurch auflöst, dann ist auch dieses Wissen wiederum Nahrung FÜR den Seelenfrieden.
Wenn ich nur das Nährende, nicht aber das Hemmende kenne, dann bin ich ratlos, wenn mir Hindernisse begegnen. Ich muss Licht und Schatten in der Welt und auch in mir kennen lernen. Und darum wissen. Je bewusster ich mit dem Schatten umgehen kann, um so intensiver wächst das Licht. In mir und dadurch in der Welt. Je mehr Menschen von innen her strahlen, um so heller wird die Welt.
Es geht mir nicht darum, den Schatten und die Hindernisse für den inneren Frieden zu leugnen, zu unterdrücken, zu entwerten oder zu beseitigen. Es geht immer darum, den Schatten anzunehmen. Angst hemmt und lähmt. Angst schützt aber auch. Wut ist verletzend und zerstörerisch, zeigt aber auch Grenzen auf.
Wenn ich mit den Emotionen, die mich aufwühlen und mich innerlich nicht zur Ruhe kommen lassen, gut umgehen kann, dann komme ich dem inneren Frieden näher.
Es gibt eine schöne Geschichte, die das gut beschreibt:
Die zwei Wölfe
Ein alter Indianer saß mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Sie sprachen über das Leben und seine Herausforderungen. Der Alte erzählte von einem Kampf. Es war ein Kampf, der schon seit langer Zeit in seinem Inneren tobte und der in jedem Menschen lebenslang tobt.
Er sagte zu seinem Enkel:
„Mein Sohn, dieser Kampf fühlt sich an, als würde er von zwei Wölfen ausgefochten.
Der eine Wolf ist dunkel und lebt im Schatten: Er ist der HASS, der Zorn, der Neid, die Gleichgültigkeit, die Anspannung, der Stress, die Ungeduld, das Urteilen, die Eifersucht, Sorgen, Schmerz, Gier, die Arroganz, das Selbstmitleid, Schuld, Vorurteile, Minderwertigkeitsgefühle, die Lügen, falscher Stolz und das Ego.
Der andere Wolf ist strahlend und lebt im Licht: Er verkörpert die LIEBE, die Freude, den Frieden, die Gelassenheit, die Geduld, die Akzeptanz, die Hoffnung, Heiterkeit und Demut, die Güte, das Wohlwollen, Zuneigung, Großzügigkeit, die Aufrichtigkeit und das Mitgefühl.“
Der Enkel dachte einige Augenblicke über diese Worte nach. Dann schaute er seinen Großvater aufmerksam an und fragte:
“Großvater, welcher der beiden Wölfe gewinnt den Kampf?”
Und der alte Cherokee antwortete:
„Der den du fütterst!“
Es leben beide Wölfe in uns. Wir alle kennen Eifersucht, Sorgen, Schmerz, Vorurteile und Gleichgültigkeit. Es geht nicht darum, diesen Wolf, der in unserem Schatten in uns lebt, zu ignorieren. Das würde uns auch nicht gelingen. Denn je mehr wir ihn ignorieren, desto mehr wird er toben. Es geht einzig darum, diesen Wolf nicht auch noch zu füttern. Er lebt in uns und möchte uns mit dem, was er ist, etwas sagen: wenn Zorn in mir auftaucht, dann weist er mich auf etwas hin: Wo übertritt jemand meine Grenze? Wo muss ich etwas ändern in meinem Leben, damit ich ausgeglichener werde? Wenn Eifersucht auftaucht, ist es wichtig, mich zu fragen: Wo vertraue ich meinem Partner nicht? Ist es wichtig, mich selbst lieben zu lernen, um die Eifersucht auf andere abzulegen?
Den dunklen Wolf anzuschauen und ihn wahrzunehmen, ist wichtig. Wir dürfen ihn nur nicht auch noch füttern. Und füttern meint, den Wut-Gedanken Raum zu geben und sich stundenlang damit beschäftigen, immer noch mehr Gründe zu finden, warum man ein Recht hat, wütend zu sein. Füttern meint, mehr davon zu tun. Mehr verurteilen, mehr Sorgen machen, mehr Schuldgefühle haben und mehr haben wollen, immer noch mehr, um die innere Leere damit zu füllen.
Füttern meint: mehr davon! Füttern meint, dem, was sich in mir zeigt, Raum geben!
Den lichtvollen Wolf zu füttern meint, der Liebe in mir Raum zu geben, anderen in Güte zu begegnen, mir bewusst machen, was gut in mir und für mich ist, mich annehmen und mich auf die Suche nach dem Stärkenden zu machen, das in allem und allen liegt.
Auf den nächsten Seiten beschreibe ich Emotionen und Haltungen, Einstellungen und Lebensauffassungen, die die Kraft haben, den inneren Seelenfrieden zu stören und zu hemmen und ihn daran zu hindern, sich in uns auszuweiten.
Es geht mir bei allem immer um mehr Bewusstheit. Je bewusster ich dem, was in mir ist, begegne, desto bewusster kann ich wählen, wie ich fühle und reagiere.
Bewusstheit meint auch, zu wissen, was für den ureigenen inneren Frieden Nahrung oder Hindernisse sind. Und das ist höchst individuell. Was einen Menschen nährt, kann für den anderen nicht die richtige Nahrung sein. Manche brauchen eine gewisse Portion Ärger-Energie, um Dinge in Angriff zu nehmen. Andere wiederum sind durch Ärger so blockiert, dass sie nichts mehr zustande bringen. Manche leben gut mit ihrer Angst, weil sie sie als beschützend erleben, andere sind durch Angst so gehemmt, dass sie ihr Leben nicht mehr leben können. Was den Seelenfrieden nährt und was ihn erschwert, ist höchst individuell. Darum ist es wichtig, dass ich meine ganz eigene Nahrung für den Seelenfrieden kennen lerne und auch weiß, was mich aus meiner inneren Ruhe bringt. Dann kann ich mehr von dem tun, was mir gut tut, und mehr das lassen, was mich blockiert in meiner inneren Ruhe.
Es gibt natürlich auch universelle Nahrung für den inneren Frieden, sprich Nahrung, die jedem Menschen gut tut: Liebe , Geborgenheit, Autonomie, Verbundenheit und Mitgefühl, denn jeder fühlt sich wohl bei Menschen, die einem mit Freundlichkeit und Mitgefühl begegnen anstelle von Missmut und Gleichgültigkeit.
Innere Freiheit
Es gibt einen Raum zwischen einem Impuls und dem Gefühl, das wir auf diesen Impuls hin fühlen. In diesen Raum hinein zu gehen, ist eine große Kunst, denn direkt nach dem Impuls (wenn es nicht gerade eine giftige Schlange ist, vor der ich besser still stehe oder weg laufe, was das Zeug hält) kommen Gedanken – und erst durch diese Gedanken, innere Glaubenssätze oder erlernte Muster, entstehen die Gefühle. Und erst all diese Gedanken und Gefühle lassen mich letzten Endes handeln und bewirken meine Reaktion. Es gibt diese Zwischen-Räume, die in Sekundenschnelle ablaufen und die uns oft nicht bewusst sind. Darum heißt Bewusstheit, das, was geschieht, in Zeitlupe anzusehen. Nur so erkenne ich, was in den Zwischenräumen, abläuft. Denn eine Situation ist nicht die Ursache für mein Handeln. Es sind die Gedanken, Glaubenssätze, inneren Muster und Gefühle, die ich aufgrund der Situation habe, die mich handeln lassen.
In die Räume zwischen dem Impuls und den Gedanken , zwischen den Gedanken und den Gefühlen und zwischen den Gefühlen und der Handlung, hinein zu gehen, das gelingt uns nur mit Bewusstheit. Und je besser ich mich und alles in mir kennen lerne, desto leichter gelingt es mir, die Räume zu betreten. Und das macht uns frei. Denn nun sind wir nicht mehr automatisch in der Wut, wenn uns jemand dumm anmacht, sondern können tief atmen, bewusst wahrnehmen, was an Gedanken, Glaubenssätzen und Gefühlen in mir abläuft und dann mit einer inneren Güte darauf antworten.
Seelenfrieden erlangen wir, wenn die Räume betreten können, die es uns ermöglichen, zu wählen, was wir denken, fühlen und wie wir reagieren möchten. Das ist anstrengend und eine nicht immer angenehme Arbeit, aber ich meine, dafür sind wir hier auf dieser Erde: um genau das zu lernen und uns zu immer liebenderen Menschen zu entwickeln.
© Marion Schronen