Charakterstrukturen
Die Charakterstrukturen von Alexander Lowen habe ich selbst nicht gekannt, als ich zum ersten Mal davon hörte. Sie faszinierten mich, wie Modelle mich generell begeistern.
Diese Arbeit von Lowen ist sehr umfassend, weil er den seelischen Verletzungen körperliche Entsprechungen zugeordnet hat. Darum kann ich das Modell von ihm hier nur verkürzt darstellen.
Modelle verkürzen immer die komplexe Realität und Biographie von höchst individuellen Menschen, aber sie geben Orientierungspunkte. Wir können wahrnehmen, was in uns gewachsen ist, wer wir geworden sind und warum wir heute die sind, die wir sind. Warum uns bestimmte Sätze oder Situationen verletzen, warum wir nicht vertrauen können, wie es vielleicht andere mit Leichtigkeit vermögen, warum unser Körper ist, wie er ist, und wie wir uns entwickeln können, um ein wenig heiler zu werden.
Wir alle haben durch unsere Biographie hindurch Verletzungen erlebt. Menschen sind fehlerhafte Wesen und auch Eltern sind nur Menschen und tun ihr Bestmögliches, das jedoch manchmal nicht das Beste, sondern eine große Verletzung für ihr Kind und seine Seele ist. Eltern müssen immer an sich selbst arbeiten, weil sie eine große Verantwortung übernehmen, wenn sie ein Kind in die Welt setzen. Es fängt immer bei den Eltern an. Wenn ich als Mutter bspw. mit meiner eigenen Wut nicht umgehen kann und das nicht gelernt habe oder lerne, werde ich die Wut meines Kindes nicht bejahen, sondern unterdrücken. Und Bejahung ist das grundlegendste Gefühl, das ein Kind und alle Menschen brauchen.
Grundlage für alles Wachsen und Werden ist ein erlebtes und erspürtes JA. Wo es fehlt, oder gar ein NEIN erlebt wird, kommt es zu tiefgreifenden seelischen Verletzungen. Und die zeigen sich auch im Geist und im Körper.
Im Folgenden kann ich das Modell der Charakterstrukturen nicht umfassend darstellen, weil es hierfür mehrere Bücher bräuchte, die es auch gibt (siehe Literaturanregungen). Aber einen kleinen Einblick in dieses faszinierende Modell möchte ich an dieser Stelle geben.
Grundlagen der Charakterstrukturen:
Die Charakterstrukturen wurden begründet aus der Bioenergetik heraus. Die „Bioenergetische Analyse“ ist ein sogenanntes Körperpsychotherapeutisches Verfahren. Es wurde ab 1947 von Alexander Lowen (geb. 23. Dezember 1910 in New York; gestorben 28. Oktober 2008 in New Canaan, Connecticut) entwickelt. Alexander Lowen war ein US-amerikanischer Jurist, Anwalt, Arzt und Psychotherapeut.
Die Bioenergetische Analyse beruht auf einzelnen Bestandteilen der Psychoanalyse, der Charakteranalyse von Wilhelm Reich (1933) sowie auf Lowens eigenen Beobachtungen und Weiterentwicklungen.
Lowens Beschreibungen seiner entwickelten „Charakterstrukturen“ sind ein Ansatz, um emotionale Einstellungen und die korrespondierenden körperlichen Spannungsmuster im Begriff der „Haltung“ zu erfassen und zu verstehen.
In Lowens Sinne stellen für jeden Menschen die Charakterstrukturen Bewältigungsformen und Sicherungssysteme dar, die ein Mensch notgedrungen zur Wahrung der eigenen Integrität (Unverletzlichkeit) im Spannungsfeld der eigenen Bedürfnisse und den Reaktionen seiner Umwelt bzw. seines Bezugssystems entwickelt hat und entwickeln musste.
Jedes Kind entwickelt also Bewältigungsformen durch das frühe Erleben von Zurückweisung, Nicht-Bejahung, Unterdrückung von Autonomie und anderen belastenden Erfahrungen. Da ein Kind existentiell von der Bejahung durch die Eltern angewiesen ist, muss es diese Bewältigungsformen entwickeln, weil es sonst sterben würde. Die Seele möchte leben und ist auf Leben ausgerichtet. Von daher lernt das Kind, wie es sein muss, um in einer nicht bejahenden, manchmal sogar verneinenden Umgebung, zu überleben.
Auf der körperlichen Ebene beinhaltet dies im Kern die Einschränkung von Lebendigkeit in Form von chronischen Verspannungen, die den Atem und die Beweglichkeit beeinträchtigen.
Die Charakterstrukturen zeichnen sich aus durch:
– Spezifische Verhaltensweisen
– Spezifisch inneres seelisches Erleben
– Spezifische körperliche Haltungsmuster
Die Charakterstrukturen der bioenergetischen Analyse sind nicht immer deckungsgleich mit den Persönlichkeitsstrukturen anderer zeitgenössischer psychologischer Klassifikationen. Sie sind ergänzt durch charakteristische leibliche Muster.
Körperausdruck und Charakterstrukturen
Mit Hilfe der „Bioenergetischen Charakterarbeit“ werden die damaligen, zum Überleben notwendigen „Errungenschaften“, die als erforderliche Abwehrreaktionen gegen schmerzliche Einflüsse auf die Person entstanden sind, erkennbar und damit auch spürbar gemacht.
Durch diese Arbeit/Therapie wird die Bereitschaft gefördert, die aktuell nicht mehr erforderlichen Verkrustungen aufzubrechen und Blockierungen abzubauen. Es wird eine Neugier auf die ungebremste Lebenskraft und das Dynamische hinter den Blockaden, die man als Kind aufgebaut hat, geweckt.
Die individuelle Lebensgeschichte im Zusammenhang mit Charakterstrukturen
Da Körper, Geist und Seele immer eine Einheit bilden, hat auch das Seelische im Körper seine Entsprechungen und kommt im Körper zum Ausdruck. Die Charakterstruktur wird durch die individuelle Lebensgeschichte fest gelegt.
Unter ungünstigen Lebenskonstellationen durfte sich die natürliche Lebendigkeit, die in jedem Kind von Geburt an vorhanden ist, im Körper nur wenig Raum verschaffen. Die Seele verkümmert unter der Verletzung, die Einheit von Körper und Seele ist gestört. Statt strömender Lebendigkeit erlebt der Mensch Stress, Unzufriedenheit, Depression und ein unbewusstes Getriebensein. Oft wird einem das sehr spät bewusst. Und auch Verspannungen brauchen oft Jahre, bis sie sich schwächend und schmerzend auf das ganze Körpersystem auswirken. Als Kind hat man die Charakterstruktur als Bewältigungsform entwickelt mit all der Körperlichkeit, die dazu gehört.
Es ist von daher immer unerlässlich, seine eigene Biographie, sein Geworden-Sein anzuschauen und mit liebendem Blick wahrzunehmen, warum und aus welchen Verletzungen heraus sich in uns eine bestimmte Struktur entwickelt hat. Damit wir heilen können.
Die für jeden Menschen notwendigen Lebensprozesse stellen sich aus bioenergetischer Sicht in vier Phasen dar. Jeder Mensch durchläuft in einer optimalen Umgebung ganz positiv diese vier Phasen und kann sie sich selbst gegenüber entwickeln, wenn er erlebt, dass die Eltern dem Kind viel Liebe und ein großes JA entgegenbringen.
1. Bejahen
2. Nehmen
3. Halten
4. Geben
Die für jeden Menschen individuellen Charakterstrukturen beschreiben energetische Störungen der Persönlichkeitsentwicklung in einer oder mehrerer der vier Phasen:
- Die Bejahung ist der Antrieb jeden gesunden Lebensprozesses. Durch das Bejahen entwickelt sich (in den ersten drei Lebensjahren) das Urvertrauen, das bestimmt, wie wir dieser Welt entgegentreten. Mit Vertrauen oder mit Misstrauen. Durch ein erspürtes Ja in der Kindheit entwickelt sich das Gefühl, dass die Welt ein grundsätzlich guter Ort ist, dass Beziehungen liebevoll sind und man sich gut fallen lassen kann. Wurde hingegen ein NEIN durch die Eltern erlebt, in welcher Form auch immer, während der Schwangerschaft, während der Geburt oder die ganze Kindheit hindurch, wird das Kind ein großes Misstrauen gegen eine potentiell gefährliche Welt entwickeln und Beziehungen grundsätzlich als zerbrechlich erleben. Solch ein Mensch ist entwicklungstraumatisiert, kann sich nicht gut fallen lassen und verlässt sich immer auf sich selbst; kann wenig um Hilfe bitten. Es fürchtet das NEIN und glaubt, es gibt nur das NEIN auf dieser Welt. Ein JA ist verdächtig und wahrscheinlich nur eine Tarnung für das dahinterstehende NEIN.
- Im Nehmen tanken wir genügend Energie und erleben auch eine gefühlsmäßige Sättigung, um das Leben tatkräftig gestalten zu können. Wer nehmen durfte als Kind, wer genießen durfte und gut genährt wurde, kann gut annehmen und auch später genießen. Auch Komplimente werden gerne angenommen.
- Durch das Haltevermögen sammeln und speichern wir Kraft. Wir können das, was wir an Liebe, Zuneigung, Bejahung annehmen durften, in uns abspeichern und haben es als Energie zur Verfügung.
- Im Geben sind wir in der Lage zu teilen, abzugeben, uns in Liebe hinzugeben. Wenn wir alle drei Phasen gut durchlaufen haben, dann kennen wir das JA zu uns, haben viel empfangen, konnten diese empfangene Liebe speichern und dann, weil wir Fülle in uns haben und erleben, dem Anderen Liebe geben. Weil wir erfüllt sind, können wir abgeben, ohne das Gefühl, etwas zu verlieren. Haben wir die drei Phasen nicht gut durch laufen, haben wir ganz früh ein Nein erlebt und nicht das Notwendigste bekommen, wenn unsere frühen und existentiellen Bedürfnisse (körperlich, emotional und seelisch) nicht gestillt wurden, konnten wir daher auch keine Kraft speichern, sondern fühlen in uns ein schwarzes Loch, das niemals gestillt oder gefüllt werden kann. Und so können wir auch nichts abgeben, weil wir nichts in uns tragen und nichts mit bekommen haben.
Zusammengefasst bedeutet dies folgendes:
Sind die vom Säugling ausgehenden Lebensimpulse bejaht worden, hat es genug Liebe, Nahrung und Bedürfnisbefriedigung erlebt und ausreichend Kräfte gespeichert, dann kann es sich hingeben. Es hat so viel Lebenssubstanz entwickelt, um ausgeglichen und freigebig in Kontakt mit „der Welt“ zu treten. Ein Kind entwickelt sich in einer bejahenden Umwelt mehr und mehr zur Fülle hin und wird sich seiner Rechte immer bewusster.
Den Entwicklungsschritten entsprechend steht das Recht zu existieren (Bejahung), seine Bedürfnisse zu befriedigen (Nehmen), selbständig und unabhängig (Halten) zu sein, großzügig zu sein (Geben) im Mittelpunkt der Entwicklung.
Dieser beschriebene optimale Entwicklungsverlauf stellt sich nur dann so dar, wenn keine frühen Störungen die Persönlichkeitsentwicklung gravierend beeinflusst haben.
Aber in der Auseinandersetzung zwischen den inneren Bedürfnissen und der gesellschaftlichen Realität, der Umgebung, in die man hinein wächst und in der man groß wird, zwischen erlebter Kongruenz oder Diskrepanz von „Innen- und Außenwelt“, kommt es je nach Entwicklungsverlauf zu bestimmten, charakterlichen Manifestationen, Verspannungen und Blockierungen der Muskulatur.
Macht ein Säugling, der sein Verlangen nach Zuwendung und Zärtlichkeit durch Schreien ausdrückt, immer wieder die Erfahrung, dass dieses Bedürfnis gar nicht oder negativ beantwortet wird, wird es beginnen, sein Bedürfnis nach Zärtlichkeit + Zuwendung zu unterdrücken. Es hält z.B. die Luft an, beißt auf die Zähne, spannt den Bauch hart an. Aus Angst vor erneuter Ablehnung und/oder Schmerz der Verlassenheit entwickelt sich als Schutzreaktion ein Muskelpanzer. Diesewr Panzer schützt. Erlebt ein Kind, dass es schreit, und nicht beantwortet wird, hat es das Gefühl, sterben zu müssen. Darum muss ein Panzer her, damit der Überlebenstrieb wirksam wird.
In der Bioenergetischen Körperarbeit werden diese, vorwiegend in der frühen Kindheit (bis zum 8.Lebensjahr), entstandenen Abwehr– und Schutzreaktionen offen gelegt und in ihrer lebenseinschränkenden Wirkung gemindert oder gar abgebaut.
Die Bioenergetik unterscheidet fünf Charakterstrukturen.
Die Begriffe sind aus der Psychoanalyse entlehnt und durch die jeweiligen Orientierungen ergänzt:
1. Der schizoide Charakter (Denkorientiert)
2. Der orale Charakter (Bedürfnisorientiert)
3. Der psychopathische Charakter (Kontrollorientiert)
4. Der masochistische Charakter (Belastungsorientiert)
5. Der rigide Charakter (Leistungsorientiert)
Die einzelnen Charakterstrukturen stelle ich in einer jeweiligen Kurzbeschreibung vor, damit ein Bild der jeweiligen Typen entstehen kann.
Jede Charakterstruktur muss eine Entwicklungsrichtung haben, damit Heilung geschehen kann
1) Charakterstruktur des schizoiden Charakters (Denkorientiert) (wer unter Streittypen nachlesen möchte, hier passt der Typ „Nichtstreiter“ dazu):
Diese Struktur entsteht in einer sehr frühen Entwicklungszeit: der ersten Zeit nach der Geburt, aber meist schon in der Schwangerschaft, in der das JA zum Kind eine lebenswichtige Haltung ist. Wird ein Säugling nicht eindeutig schon während der Schwangerschaft und dann in seiner ganz frühen Entwicklung bejaht und (durch das JA) bestärkt in seinem Dasein, fühlt es sich nicht richtig zu Hause in sich selbst. Die Angst zurückgewiesen zu werden, lässt den Körper zusammenziehen. Die innere und äußere Einheit zerbricht durch zu große Spannungen. Der Körper wirkt fragmentiert und unproportioniert. Zweifel und Misstrauen lassen Uneinigkeit mit sich selbst und der Realität um es herum aufkommen. Die schizoide Person zieht sich in seine „Phantasiewelt“ zurück („Weltflucht“). Sie baut sich manchmal eine eigene und ungestörte Traumwelt auf, in der alles gut und richtig ist, damit es die Realität überlebt. Körper und Seele entfremden sich, weil das Kind sich in seinem Körper nicht zuhause erlebt. Es ist in seinem Dasein, mit seinem Körper nicht bejaht und erwünscht.
Hier sind die meisten Entwicklungs- und Bindungstraumata zu finden. Sie bedürfen später einer traumatherapeutischen Unterstützung. Dann kann vieles heilen und sich in eine positiv beziehungsgestaltende Richtung entwickeln.
Merkmale/Wesen/Charakterzüge dieser Charakterstruktur:
– Frühe Erfahrung: Zurückweisung, Ablehnung, nicht angenommen werden, „Nein“ statt ein liebendes „Ja“
– Meidet intime Nähe und gefühlsbetonte Beziehungen
– Trennt Denken vom Fühlen
– Rückzug nach innen (in den Kopf und ins Denken); dadurch Verlust des Kontakts zur Außenwelt
– Begrenztes Selbst-Gefühl
– Stark reduzierter Kontakt zum Körper und dessen Gefühlen
– Idealer, klarer Denker in Krisen und im Chaos
– Will nicht zur Last fallen
– Die Gedankenwelt genügt (Konzepte), die Verwirklichung ist nicht so wichtig
– Angst, vernichtet zu werden
– Brillante sprachliche Begabung
– Wenig Ansprüche: bescheiden bis asketisch
– Schwaches Ich
– Abbruch von Beziehungen-Isolationstendenz
– Weggehen, ohne zurück zu schauen
– „Mein Verstand ist mein Leben!“
Entwicklungsziel/Heilung:
Gerade bei schizoiden Persönlichkeiten geht es darum, dass sie ihren „leeren“, „bedeutungslosen“ Körper wieder mit Leben füllen lernen. Sie müssen ihren Körper zurückgewinnen und das JA zu sich selbst sprechen, das sie nie erlebt haben. Das ist ein langer, schwerer Weg und oft muss eine Traumatherapie das Verletzendste auflösen, damit Heilung möglich ist.
2) Charakterstruktur des oralen Charakters (Bedürfnisorientiert):
Wer nicht genug bekommen hat, läuft unbefriedigt und „ausgehungert“ durchs Leben. Durch fehlende Bedürfnisbefriedigung im Babyalter zeigt der Körper Mangelerscheinungen. Der Mensch, der nicht genug bekommen hat, als Baby und Kind, kann sich später nicht das nehmen, was er braucht, weil er es nicht kennt, und weil seine Organe blockiert sind. Er ist kaum in der Lage, seine eigenen Bedürfnisse überhaupt wahrzunehmen und sie, wie auch sein sehnsüchtiges Verlangen, auszudrücken. Da er fast nur das Gefühl hat, zu kurz zu kommen, wird er immer tiefer in die Illusion hineingezogen, dass diese Welt ein Ort des Mangels ist und ihm nichts zusteht. Die Grundlage für die Entstehung von Süchten wird in dieser Phase gelegt, weil man versucht, auf ungesunde Art und Weise das zu kompensieren, was man an Bedürfnissen nicht befriedigt bekam. Dieser Mensch fühlt sich oft schwach und hilflos. Er entzieht sich jeglicher Anstrengung, oft auch der Verantwortung für sein Tun. Ein typischer Satz ist „Ich kann das nicht“.
Merkmale/Wesen/Charakterzüge:
– Erlebte Erfahrung: Entzug
– Kann Schwächen offen zeigen
– Ist meist herzlich
– Ist oft unverbindlich
– Guter Zugang zu seinen Bedürfnissen, aber: es ist nie genug!
– Angst, zu kurz zu kommen
– „Ich kann das nicht!“
– Fühlt sich schwach und hilflos
– Liebt kuschelige Nähe
– Braucht andere zum (Über-)leben
– Mangelnde Selbständigkeit
– Ist er alleine, fühlt er sich leer und hilflos
– Innere Leere
– Hat den Wunsch nach Nähe und Anerkennung
– Kann Nähe nur auf der Basis seiner Bedürfnisse nach Halt und Wärme herstellen (infantile Basis); dadurch anhänglich; oft abhängig; Neigung zum Anklammern
– Verminderte Aggressivität
– Starke Schwankungen der Stimmungslage
– Erwartung, von anderen gehalten, gestützt und behütet zu werden
– Hat den Wunsch, zu reden
– Kann prima Feste feiern und genießen
– Kann problemlos andere für sich arbeiten lassen
Entwicklungsziel/Heilung:
Die orale Person muss lernen, sich zu nehmen, was sie für ein erfülltes Leben braucht, unabhängig von Anderen oder Anderem. Sie muss lernen, Liebe zu sich selbst zu entwickeln, um unabhängig zu werden von der Anerkennung durch Andere!
3) Charakterstruktur des psychopathischen Charakters (Kontrollorientiert) (bei den Streittypen ist der Typ des Verletzer äquivalent)
Kinder haben den inneren Wunsch, erwachsen zu werden. Wird ihnen eine erwachsene Rolle angeboten oder wird es hochgejubelt, so ist das Kind verführbar, manipulierbar. Bekommt es für sein vernünftiges Verhalten auch noch positive Verstärkung, so wird es sein Erwachsenwerden beschleunigen und schnell groß werden wollen. Aus der Befürchtung, sonst übersehen zu werden, entspricht es dem fremden Wunsch und wird somit um seine Kindheit betrogen (z.B. wenn ein Kind auf seine jüngeren Geschwister aufpassen und sie versorgen muss.). Weil das innere Wachstum nicht mithalten konnte, verausgabt der Psychopath sich und übernimmt sich. „Frühreif sein zu müssen“ wie „zu schnell zu viel erreichen zu wollen“, können körperliches Wachstum nicht ersetzen. Da das Kind für sein Erwachsensein immer wieder gelobt wird (von seiten der Eltern, Lehrer/innen, Nachbarschaft), glaubt es, stark zu sein (stark sein zu müssen), keine Schwächen zu haben (oder keine Schwächen zeigen zu dürfen) und immer alles bestimmen zu wollen. Im Körper verschiebt sich alles nach „oben“ und die obere Hälfte wirkt aufgebläht. In der Mitte des Körpers treten Bruchstellen zwischen oben und unten auf. Die psychopathische Persönlichkeit ist sehr stark kopflastig und leugnet ihre Gefühle. Das äußerliche Gehabe, Großgetue und Dasein steht im Mittelpunkt ihres Daseins.
Merkmale/Wesen/Charakterzüge:
– Erlebte Erfahrung: Frühe Zurückweisung von Halt, Kontakt und Versorgt sein; Erfahrung, nicht Kind sein zu dürfen, sondern schnell erwachsen zu werden, erwachsen werden zu müssen.
– Nähe nur aufbaubar zu denen, die ihn brauchen! Solange er gebraucht wird und das selbst steuern kann, ist ein bestimmtes Maß an Nähe möglich!
– Will meist der Größte sein
– Hat die Übersicht, will alles unter Kontrolle haben
– Sehr stark kopflastig
– Leugnet Gefühle (auch sexuelle Gefühle!)
– Großgetue
– Das Zentrum ist oben (körperlich)
– Blickt auf andere meist herunter
– Kann hart bleiben
– Macht Karriere
– Liebt vor allem aus der Ferne
– Persönliche Nähe macht Angst
– Verachtet Kleinkariertheit und Genauigkeit
– Denkt schnell, klar und ist kämpferisch
– Drang nach Macht (durch Einschüchterung oder Manipulation)
– Möchte andere Menschen beherrschen
– Selbständigkeitsfanatiker
– Gibt sich unabhängig (ist aber abhängig vom Publikum, von Menschen, die er beherrschen kann)
– Ist ein Ästhet, liebt das Schöne
– Ist begehrenswert, verführerisch, attraktiv, anziehend
– Glaubt, immer stark sein zu müssen, darf keine Schwächen haben
– Verdrängt, leugnet und kompensiert Erlebnisse von Macht- und Hilflosigkeit, durch die er sich latent bedroht fühlt.
Entwicklungsziel/Heilung:
Die psychopathische Person hat die Wiederentdeckung ihrer tiefen Gefühle zur Hauptaufgabe und der damit verbundenen Verletzlichkeit. Sie muss ihre Verletzlichkeit wieder finden, zugeben und zeigen!
4) Charakterstruktur des masochistischen Charakters (Belastungsorientiert) (Streittyp Anpasser)
Werden Kinder immer wieder in ihrem Bewegungsdrang, ihrem So-Sein, ihrer Lebendigkeit, ihren Fragen, ihrem Streben nach Autonomie und Loslösen sowie ihrer Neugierde unterdrückt – und beherrschen und kontrollieren sie sich somit aus Furcht vor Ablehnung, ist spontaner Ausdruck kaum mehr möglich. Sie versuchen, den Anderen immer alles Recht zu machen, und sie verleugnen ihr Streben nach Autonomie und Ablösung sowie nach eigenem Ausdruck und eigenem Wollen. Sie passen sich dem Druck der Anderen an, um sich nicht „daneben“ zu benehmen. Auch hier wird nicht bejaht, was an Ausdruck, Neugierde und Lebendigkeit im Kind ist. Die Bejahung ist für und in allen Phasen die Grundlage. Folgen dieser permanenten Anpassung sind Antriebsschwäche, Verklemmungen, Hemmungen, Schuld- und Schamgefühle. Die Strebungen nach Unabhängigkeit werden dem „Bravsein“ und dem „nicht auffallen wollen“ geopfert. Solche Menschen sind später nicht mutig genug, eine eigene Meinung zu entwickeln und sie kundzutun, werden im Extrem zu „willenlosen Befehlsempfängern“ und meiden die eigenverantwortliche Entscheidung. Diese Erfahrung führt zu einem traumatischen Reflex, dem „Fawn Response“ (Zwang, freundlich zu sein, damit man nicht abgelehnt wird), der bis ins Erwachsenenalter stark hemmend wirkt und unbedingt aufgelöst werden muss mit therapeutischer Unterstützung.
Merkmale/Wesen/Charakterzüge:
– Erlebte Erfahrung: Autonomiebestreben in der Kindheit wurde unterdrückt, dadurch Schuldgefühle bei Selbständigkeitswunsch. Liebe und Anerkennung gehen mit starkem Druck einher, so zu sein, wie der Andere möchte, dass man zu sein hat. Das Kind wird nur geliebt, wenn es so ist, wie die Eltern es verlangen und wollen, dass es ist, nicht wie und was es selbst sein möchte oder ist von seinem Wesen her. Gerade sehr neugierige und lebendige Kinder werden häufig unterdrückt und als nervend erlebt. Dieses Gefühl, nervend zu sein, bleibt im Kind hängen und es erlebt sich selbst als Belastung!
– Hat erhebliche Minderwertigkeitsgefühle
– Kommt schwer hoch, sitzt gerne
– Ist fleißig und brav
– Kann gut vermitteln
– Versucht, es Anderen immer recht zu machen
– Passt sich dem Druck der Anderen an
– Hält (fast) alles aus
– Neigt zu Jammern und Klagen
– Permanente Anpassung!
– Brav sein, nicht auffallen wollen
– Fähig zu engen Beziehungen (Grundlage ist meist eine unterwürfige Haltung und dadurch keine Beziehung auf Augenhöhe, meist asymetrische Beziehungen. Hört gerne und lange zu bis an die Belastungsgrenze!)
– Ist gutmütig
– Schleppt sich selbst als Last
– Ist ziemlich belastbar
– Spontaner Ausdruck kaum mehr möglich wegen früher Ablehnung und Unterdrückung und der aktuellen Angst davor (Früh gehörte Aussage: „Was du willst, interessiert nicht!“)
– „Das Leben ist sehr mühsam, aber es ist halt so!“
– Steht immer unter Druck
– Ist zäh und ausdauernd
– Kann viel aufnehmen und annehmen
– Selbstdurchsetzung, gesunde Wut und Aggression sind stark gehemmt
Entwicklungsziel/Heilung:
Der masochistische Mensch muss versuchen, seine Aggressionen angemessen zu entdecken und auszudrücken, ohne Schuldgefühle dabei zu empfinden. Er tut gut daran „Nein-Sagen“ zu lernen und seine Schuldgefühle (dabei und auch generell) zu reduzieren. Er muss lernen, dass seine Anwesenheit nicht belastend ist, sondern als Bereicherung erlebt wird. Tiefe Entspannung ist ihm sehr hilfreich. Darum sind das Erlernen von Entspannungsmethoden und Atemübungen sehr bedeutsam, um Kraft zu entwickeln, zu sich selbst zu kommen und mitfühlend sich selbst gegenüber zu werden.
5) Charakterstruktur des rigiden Charakters (Leistungsorientiert) (Streittyp Nichtstreiter)
Wichtige Merkmale sind: Vornehme Zurückhaltung, Stolz und Unnahbarkeit. Hier wird der Schutz der Seele durch ablehnendes und zurückweisendes Verhalten deutlich. In der Kindheit gab es emotionale Verletzungen durch den gegengeschlechtlichen Elternteil. Liebevolle Hingabe an eine geliebte Person fällt dem rigiden Typen äußerst schwer. Er lebt in der Vorstellung, alles alleine bewältigen zu müssen. Die rigide Persönlichkeit hat die Phasen von Bejahen, Nehmen und Halten recht befriedigend durchlaufen, so dass sie sich eigentlich liebevoll hingeben könnte. Aber gerade in dieser Entwicklungsphase treten Schwierigkeiten auf in Form von spezifischen Verspannungsmustern, die sich aus der Zurückhaltung ergeben. Der Rigide gibt sich nur teilweise hin. Empfindet er tiefe Liebe, wird er sich scheuen, sich sexuell hinzugeben. Lässt er sich auf Sexualität ein, wird er sein Herz zurücknehmen.
Merkmale/Wesen/Charakterzüge:
– Erlebte Erfahrung: Nicht so schwere Traumata wie bei den anderen 4 Charakterstrukturen; aber das Recht, sich etwas zu wünschen und Wünsche zu befriedigen, wurde meistens verwehrt, darum fällt die Hingabe schwer, weil Wünsche zurückgehalten werden mussten, obwohl sie da waren. Zurückhaltung (u.a. von Wünschen, Geld, Zuneigung) ist darum auch charakteristischstes Merkmal. Auch Bescheidenheit bis hin zum Geiz und der Tendenz, sich nichts zu gönnen, weil man nicht erlebt hat, wie es ist, wenn man sich Wünsche erfüllt oder erfüllt bekommt.
– Knüpft (ziemlich) enge Beziehungen; trotz Intimität bleibt er ständig „auf der Hut“
– Zurückhaltung, Stolz, Unnahbarkeit; steife unnahbare Haltung
– Ablehnendes, zurückweisendes Verhalten
– Das Miteinander ist möglich, wenn es um Leistung geht (nicht um etwas Persönliches)
– Kann sich und anderen Halt geben
– Chronisch erfolgsorientiert; willensbetont
– „Alles ist in bester Ordnung!“
– Das Herz gehört ihm allein
– Funktioniert prima
– Zeigt Stärke und Energie
– Hoffnung, durch Leistungsorientierung Liebe und Anerkennung zu bekommen
– Hat Angst, verraten zu werden (misstrauisch); ständig auf der Hut, nicht verletzt zu werden
– Ist ausgewogen und kraftvoll
– Kennt seine Grenzen
– Das Herzliche wird zurück gehalten
– Angst vor Zurückweisung
– Leistung ist alles im Leben
– Oft Perfektionist
– „Ich muss alles alleine schaffen!“
– Hingabe an Andere fällt schwer
Entwicklungsziel/Heilung:
Dieser Typus muss lernen, seine Angst vor Zurückweisung abzulegen und sich Wünsche zu erfüllen, sich somit diesen Wünschen und der Liebe hingeben zu können.
Entwicklungsziele in der Bioenergetik / Heilungsprozesse:
Zentrales Konzept in der Bioenergetischen Analyse ist das sog. „Erden“ oder „Grounding“. Lowen begann in den 1950er Jahren damit, mit seinen Patienten im Stehen körperlich zu arbeiten. Das gab es bis dahin im psychotherapeutischen Kontext nicht. Erden (oder Grounding) meint das Stehen und der aufrechte Gang im Schwerfeld der Erde (Kontakt zum Boden, Standfestigkeit und Eigenständigkeit).
Durch das Erden lernt der Mensch:
- In Kontakt und ins Spüren zu kommen mit allen Bereichen der eigenen Körperlichkeit als Verwurzelung, in der Wahrnehmung des „Körperselbst“, des eigenen Körpers mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen.
- Verbundenheit mit der eigenen Geschichte zu erleben
- Verstehen der eigenen Biografie
- Fähigkeit, gesunde Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten
- Fähigkeit, „Selbstentgrenzungen“ durchzustehen (spirituelle Dimension, Transzendenz) und zu erleben
Therapeutischer Prozess der Bioenergetik:
Zu Beginn der Therapie „liest“ der Bioenergetische Analytiker zunächst den Körper (u.a. die individuelle Körperhaltung, den Augen- und Gesichtsausdruck, die Qualität der Atmung sowie der Gesamteindruck des Energieniveaus). Das „Gesehene“, wozu eine große Erfahrung des Therapeuten gehört, wird in Zusammenhang mit den genannten Beschwerden, der eigenen Biographie, den vorherrschenden Gefühlen und erkennbaren kognitiven Grundüberzeugungen und Glaubenssätzen gebracht. Dadurch wird ein erstes gemeinsames Verstehen erarbeitet.
Bei der Durcharbeitung der biographischen Verletzungen und der charakteristischen Grundproblematik werden die Aufarbeitung durch Worte, Gespräche mit körperlichen Interventionen ergänzt. Beide Formen sind unerlässlich und bedingen sich gegenseitig.
Bestandteile körperlicher Interventionen sind meist Vertiefung der Atmung, Anregung unwillkürlicher Körperbewegungen als Ausdruck von Lebendigkeit, Arbeit am emotional verbundenen stimmlichen Ausdruck (leise Stimmen werden kraftvoller), Belebung des allgemeinen Energieniveaus zur Vertiefung der emotionalen Fühl- und Ausdruckstoleranz (wer mehr Energie hat, kann seine Gefühle deutlicher zum Ausdruck bringen).
In der direkten Körperarbeit wird bewusst, wie blockierend der Charakter der eigenen körperlich-seelischen „Lebenshaltung“ ist. Es wird auch spürbar, wie die unterdrückten und im Körper verbliebenen Gefühle, die im Baby- und Kindesalter abgewehrt werden mussten, das eigene Lebensgefühl blockieren und belasten. Häufig werden dadurch Erinnerungen wach, die einen biographischen Zusammenhang mit den abgewehrten Emotionen haben. In der sprachlichen Aufarbeitung geht es um die Verknüpfung der Erfahrungen auf der körperlichen Ebene mit der Seele, dem Geist und den inneren „Haltungen“.
Vor allem geht es in dieser Arbeit um eine Integration der dadurch lebendig gewordenen Persönlichkeitsbereiche. Es ist nämlich nicht leicht, sich auf einmal ganz anders zu erleben. Wenn Nähe einem Menschen durch seine Biographie viel Angst macht, und er diese Sehnsucht nach Nähe spürt und zulässt, erfordert es viel Mut und eine gute Begleitung, dass diese erlebte Nähe bleiben darf und nicht wieder abgewehrt wird, nur weil man es über einen so langen Zeitraum gelebt hat und es so gewohnt war.
Anders zu werden kann befreiend sein, aber auch als bedrohlich erlebt werden in der ersten Zeit. Der Prozess muss somit sehr behutsam geschehen und kann dann den Weg zu einer befriedigenderen Lebensgestaltung, zu mehr Lebensfreude, Nähe, Genuss, Kreativität und Vertrauen öffnen.
© Marion Schronen