Achtsamkeit

Achtsamkeit

„Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden alle unsere Sorgen und Nöte und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.“ Thich Nhat Hanh

Es gibt im Netz wunderbare Seiten über Achtsamkeit und die Bücher von Jon Kabat-Zinn (in den Literaturanregungen) sind so bedeutsam, dass ich dem ganzen sicher nichts Elementares hinzufügen kann. Und dennoch ist es für mich hier wie auch bei den anderen Artikeln wichtig, das, was für den Seelenfrieden nährend ist, zu be-schreiben. Und da jeden Menschen Unterschiedliches anspricht, mag es sein, dass der Ein oder die Andere hier fündig wird und sich ein wenig ausruhen kann in meinen Zeilen.

Wir alle möchten achtsam sein, achtsam miteinander umgehen und achtsam mit uns selbst sein. Es stecken zwei Begrifflichkeiten dahinter.

Im Duden steht zum Begriff „achtsam“: 1) aufmerksam, wachsam 2) vorsichtig, sorgfältig, behutsam

Achtsam miteinander umgehen meint die zweite Bedeutung (vorsichtig, sorgfältig, behutsam), dass ich den Anderen achte, ihn wertschätze und respektiere und so mit ihm umgehe, wie ich selbst möchte, dass man mit mir umgeht. Ich achte darauf, den Anderen nicht zu verletzen mit Worten oder Handlungen. Es ist eine tiefe Bewusstheit darüber, dass wir alle verletzbar sind und miteinander zusammen hängen. Das ist Achtsamkeit in dem einen Sinn, in dem wir alle mehr und mehr wachsen dürfen.

Es gibt drei Säulen der Achtsamkeit sich selbst gegenüber in diesem ersten behutsamen Sinn. Und wenn wir dies uns selbst gegenüber entwickeln, dann können wir es auch Anderen gegenüber leben.

  1. Innerer sicherer Ort; Wir sollten in uns selbst einen Ort finden, an dem wir uns sicher fühlen. Sicher vor Verletzungen, sicher vor dem Stress im Außen. Sicher vor Impulse von außen, die uns sonst überfluten würden. In diesen sicheren Ort können wir uns jederzeit zurück ziehen. Man kann sich eine Schildkröte vorstellen, die sich in ihren Panzer zurückzieht. Oder man imaginiert einen Ort, an dem man sicher ist, so sicher, dass kein Mensch dorthin kommen kann. Durch das Kreieren eines inneren sicheren Ortes ist man sich selbst gegenüber achtsam und weiß sowohl um seine verletzlichen Stellen als auch um seine Grenzen.
  2. Milde sein sich selbst gegenüber: Wer sich selbst gegenüber nicht milde ist, kann diese Milde auch Anderen gegenüber nicht leben und wird sowohl mit sich als auch mit seinen Mitmenschen streng und unnachgiebig sein. Milde ist so ein schönes Wort, weil es schon beim Aussprechen das Innere weicher macht. Es ist eine tiefe Form der Liebe uns selbst gegenüber, milde zu uns selbst zu sein, wenn wir Fehler machen, wenn wir unsere Ziele nicht erreicht haben, wenn wir unachtsam waren einem Anderen gegenüber, wenn wir etwas gesagt oder getan haben, das wir bereuen. Wenn wir milde zu uns selbst sein können, entwickeln wir auch eine Güte und Milde Anderen gegenüber und das ist Nahrung für den eigenen Seelenfrieden und für den Frieden in unserer Umgebung.
  3. Akzeptieren, was ist: Wenn wir Ja sagen können zu dem, was uns begegnet, wenn wir wollen, was kommt und nicht dagegen ankämpfen, entdecken wir eine tiefe innere Ruhe in uns. Es ist der Widerstand gegen das, was ist, der uns leiden lässt. Wenn wir das akzeptieren können, was ist, mit einem inneren Ja, weil es ist, wie es ist, dann werden wir friedvoller und glücklicher, weil unser Glück dann nicht mehr von äußeren Dingen oder Ereignissen abhängt. Es liegt ein tiefes inneres Glück in der Akzeptanz dessen, was ist. Es mag uns nicht gefallen, es mag uns unendlich traurig machen oder gar wütend – wenn wir es jedoch schaffen, das, was ist, in Liebe anzunehmen, weil es gerade da ist, dann werden wir den Quell des Glücks in uns selbst finden. Wer gegen die Realität kämpft, leidet. Wer das, was da ist, nicht wahrhaben oder weg haben möchte, wird krank. Es geht mir hier nicht um passives Erleiden oder Erdulden. Es gibt Dinge, die wir ändern müssen, Umstände, die nicht hinnehmbar sind. Und wenn wir in einer Partnerschaft leben, in dem der Andere uns das Leben zur Hölle macht, müssen wir gehen. Das ist hiermit nicht gemeint. Dinge, die wir ändern können, die müssen wir ändern. Es gibt aber Dinge und Ereignisse, die wir nicht ändern können. Und die anzunehmen, ist der einzige Weg zu innerem Frieden.

„Sei in diesem Moment glücklich, das ist genug. Wir brauchen nicht mehr, als diesen Moment.“ Mutter Theresa

Die erste Bedeutung (aufmerksam, wachsam) meint Achtsamkeit als Haltung dem Leben gegenüber und aus der Tradition. Die ältesten Schriften, in denen die Achtsamkeit erwähnt wird, gibt es im Buddhismus. Achtsamkeit ist dort eines der zentralen Konzepte der Lehre und hat in den letzten 2500 Jahren in den asiatischen Verbreitungsgebieten des Buddhismus nur wenig Veränderung erfahren. In diesem Sinne meint Achtsamkeit, im Hier und Jetzt zu sein, ganz auf den gegenwärtigen Moment fokussiert und alles was im Augenblick geschieht, aufmerksam und bewusst wahrzunehmen, ohne zu werten und es zu beurteilen. Achtsamkeit heißt, so auf den Moment fokussiert zu sein, so dass (störende) Gedanken oder Einflüsse von außen einfach vorüberziehen, ohne dass sie uns ablenken, wir darüber nachdenken oder sie bewerten.

Im Gegensatz zur Konzentration, die sich auf einen begrenzten bereich einengt, kann Achtsamkeit den Geist öffnen und ganz weit machen, so dass eine weite Aufmerksamkeit möglich wird, ohne an etwas hängen zu bleiben oder darüber nachzudenken.

„Wo immer du bist, sei ganz dort.“ Eckhart Tolle

„Achtsamkeit bedeutet sich dem unmittelbaren Augenblick
mit einer nicht wertenden annehmenden Haltung zuzuwenden,
dem, was wir gerade tun,
ohne in Grübeleien, Erinnerungen oder Zukunftsplanungen gefangen zu sein.
Man ist einverstanden, mit dem, was gerade ist unabhängig davon,
ob eine Situation gerade angenehm oder unangenehm ist.“
Jon Kabat-Zinn

Jon Kabat-Zinn hat das MBSR (Mindfulness based Stress Reduction)-Programm begründet. Dieses Programm hat Tausenden von Schmerzpatienten und durch Stress erkrankten Menschen sehr geholfen. Es wird heute in vielen Ländern von ausgebildeten Lehrer/innen angeboten. Es ist ein 8-Wochen Programm.

Achtsamkeit ist eine Haltung dem Leben gegenüber und gegenüber dem, was mir begegnet. Es geht darum, ganz präsent zu sein im Hier und Jetzt und alle Erfahrungen im Jetzt zu umarmen, sie nicht zu beurteilen. Sie zu sehen als das, was sie sind. Nicht werten, nicht interpretieren, nicht verurteilen. Ganz im Augenblick sein und bewusst spüren, sehen, hören, schmecken, riechen und fühlen, was da ist. Von Augenblick zu Augenblick.

Die folgenden sieben Schritte auf dem Weg der Achtsamkeit zeigen einen Weg auf, den wir immer wieder gehen können, manchmal von Beginn an. Auf diesem Weg können wir rasten, uns ausruhen, stehen bleiben, uns setzen, gehen, und immer im Augenblick bleiben.

Die sieben Schritte sind: Nicht beurteilen, Geduld, Anfängergeist, Vertrauen, Absichtslosigkeit, Akzeptanz und Loslassen.

1. Nicht werten:

Bei diesem Schritt geht es darum, dem ersten Urteil, das automatisch in uns entsteht, weil wir die Welt einordnen möchten, nicht zu glauben. Wenn wir kurz innehalten und ruhig ein- und ausatmen, dann gewinnen wir eine Distanz zu dem, was ist und können in eine Beobachterposition gehen. Aus dieser heraus ist es viel einfacher, nicht zu beurteilen, sondern einfach wahrzunehmen, was ist. Das ist nicht einfach, weil wir es gewohnt sind, zu bewerten. Wenn wir einen Menschen sehen, der am Tisch sitzt und den Kopf zwischen seinen Armen auf der Tischplatte hat, dann fällt es uns schwer, das einfach zu beschreiben und nicht sofort zu denken oder zu sagen: „Er schläft“ oder „Sie ist traurig!“. Wenn wir diesen Schritt vollends beherrschen, dann schaffen wir es, nicht mehr zu beurteilen. Wir können Ereignisse und Menschen sehen, sie bewusst wahrnehmen und nicht mehr beurteilen. Das bedeutet nicht, dass wir uns allem aussetzen müssen. Es ist der erste Baustein der Achtsamkeit sich selbst gegenüber, in einen inneren sicheren Ort zu gehen, wenn uns etwas nicht gut tut. Wenn ich spüre, dass mir ein Mensch oder eine Umgebung nicht gut tut, dann kann ich auf Distanz gehen und mich zurück ziehen in eine Umgebung die mir gut tut. Das ist keine Beurteilung („Dieser Typ ist so dumm, ich will hier weg!“), es ist ein Achten auf sich selbst, ohne zu werten („Ich fühle mich nicht wohl hier, ich möchte gehen.“).

Es ist am Anfang wichtig, sich bewusst zu werden, dass wir ständig werten und beurteilen oder auch verurteilen. Dies dann zu merken und sich selbst nicht zu bewerten oder zu verurteilen, das ist Achtsamkeit. Dieses ständige Bewerten und Beurteilen lässt uns automatisch handeln. Diesen Automatismus zu durchbrechen bedeutet Achtsamkeit. Etwas wahrzunehmen, genau so und nur so, wie es ist – und dann still bleiben, weil nicht direkt auf ein Ereignis Gedanken und Wertungen kommen, sondern weil dann alles still in uns bleibt – das ist innerer Frieden, der durch Achtsamkeit entsteht.

Wenn wir beginnen, unsere Gedanken zu beobachten, merken wir, dass wir ununterbrochen denken. Wir werten in Gedanken ständig: Nutzt mir das? Ist das gut oder schlecht? Das finde ich sehr blöd! Wie hat die sich denn angezogen? Ist der aber fett! Auch in Situationen, in denen wir einen Raum betreten, denken und werten wir blitzschnell: Wo möchte ich sitzen? Wer sieht sympathisch aus? Oder wir bewerten sofort die Person, die sich neben mich setzt. Wir beurteilen alles, was wir sehen, in Gedanken. Unser Gedankenstrom ist ununterbrochen vorhanden. Es tut gut, diesen bewusst zu unterbrechen, indem wir uns für einen Moment lang nur auf unseren Atem konzentrieren und die Gedanken wie Wolken am Himmel vorbei ziehen lassen und uns bewusst machen, dass wir der Himmel sind und nicht die Wolken!

2. Geduld

Bei diesem zweiten Schritt ist nicht nur die Geduld mit anderen wichtig sondern in gleichem Maße die Geduld mit uns selbst. Jeder Mensch geht seinen eigen Weg auf seine eigene Art und in seiner eigenen Geschwindigkeit. Bei diesem Schritt akzeptieren wir, dass wir Menschen, Dinge und Prozesse nicht beschleunigen können und sollen. In der Geduld liegt eine tiefe Ruhe und ein Annehmen all dessen, was kommt – zu seiner Zeit und nicht vorher oder schneller.

3. Anfängergeist

Der dritte Schritt ist ein schwerer Schritt, weil wir als Kinder dien Anfängergeist alle in uns trugen, ihn jedoch mit der Zeit verloren haben. Wir haben als erwachsene Menschen viele Situationen erlebt und Erfahrungen gesammelt und glauben von daher, die Dinge zu kennen oder zu wissen, was passieren wird. Wir geben den Dingen oder Menschen oft keine Chance, anders zu reagieren, denn wenn es anders läuft, nehmen wir die Nuancen, die sich verändert haben nicht wahr.

Unser Gehirn ist so konzipiert, dass es möglichst wenig Energie verbraucht und energiesparend funktioniert. Das tut es natürlich dann am besten, wenn wir Gewohnheiten pflegen und Routine entwickeln, wenn jeder Tag Struktur hat, so, wie wir ihn kennen. Das Fatale daran ist, dass wir so nichts Neues lernen oder übere unsere Grenzen hinauswachsen und dann jegliche Neugier und Staunen, die den Anfängergeist ausmachen, verlieren. Zudem sind wir so ausgestattet, dass wir nur das wahrnehmen, was sowieso schon in unser Denkschema passt. Das heißt, wir nehmen das wahr, wie wir sind. Wenn wir negativ sind, dann nehmen wir verstärkt das Negative wahr, weil das Hirn das wahrnimmt, was schon zu der vorhandenen Meinung oder Denkstruktur passt. Auch das macht den Anfängergeist zunichte. Es ist wichtig, die Welt jeden Tag mit neuen Augen zu sehen, Menschen eine Chance zu geben, sich zu entwickeln und ganz anders zu werden, auch sich selbst diese Chance zu lassen. Anfängergeist heißt, nicht zu glauben, dass man sein Fach gänzlich beherrscht oder Meister seines Fachs ist, sondern zu wissen, dass wir immer etwas Neues dazu lernen können, dass wir nie fertig sind und dass jedes Fachgebiet und jeder Tag neue Inhalte, Dinge, Ereignisse und Menschen für uns bereit hält, die wir mit Neugier und Staunen wahrnehmen und kennen lernen dürfen.

Es geht darum, wieder mit den Augen eines Kindes zu schauen, das alles zum ersten Mal erblickt. Staunend vor dem Meer zu stehen, als sähe man es zum ersten Mal. Man sieht alles zum ersten Mal, weil nie etwas gleich bleibt, alles Lebendige ändert sich. Wir alle brauchen natürlich auch eine gewisse Routine, weil uns das Sicherheit gibt. Und in Sicherheit lernen wir besser, weil wir nicht darauf achten müssen, ob uns etwas Gefährliches überfällt. Außerhalb dieser Routine ist es jedoch bei diesem Schritt wichtig, allen Menschen und Situationen die Chance zu geben, genau diese Situation zu sein und nicht die, die man im Voraus schon erkennt, weil man eh weiß, wie es kommt und weil es „immer schon so war und ist“.

4. Vertrauen

Bei diesem Schritt geht es darum, Vertrauen zu entwickeln.

  • Vertrauen in das Universum, dass es uns trägt und hält. Das ist ein Grundprinzip glücklicher Menschen. Sie vertrauen darauf, dass das Leben es gut mit ihnen meint und sie im Einklang mit dem Universum leben, dass das Universum den Überblick hat und sie im Auge behält.
  • Vertrauen in die eigene Weisheit. Wir haben uns von Kind an daran gewöhnt, dass uns ständig jemand von außen sagt, was richtig und was falsch ist. Viele Eltern stärken das Vertrauen der Kinder in ihre eigene Intuition nicht. Darum vertrauen wir als Erwachsene unserer eigenen Weisheit und unserem eigenen Wissen nicht. Wir haben gelernt, zu fragen, ob es okay ist, was wir tun, und dafür Anerkennung zu erhalten, die wir brauchen, um uns gut zu fühlen. Wir orientieren uns oft an dem, was andere sagen. Es gibt genug Studien darüber, dass Menschen ihre eigene Meinung verändern je nach Gruppendruck. Bei diesem Schritt geht es darum, sich selbst zu vertrauen, seine eigenen Antworten (wieder) zu entdecken und der eigenen Intuition zu vertrauen, auf unsere innere Stimme zu lauschen. Wenn wir uns selbst und dem Universum vertrauen, gehen wir mit innerer Ruhe durch diese Welt und können das,was ist, mit voller Präsenz wahrnehmen und ohne Wertung annehmen.
  • Vertrauen in den eigenen Körper. Vertrauen darin, dass unser Körper weiß, was er braucht, warum er Schmerzen hat und was er uns damit sagen möchte. Es geht darum, ihn zu pflegen, gut zu nähren ihn gesund zu erhalten.

Auch dieser Schritt braucht Geduld, Zeit und Übung. Wir können immer wieder innehalten, auf unsere innere Stimme hören, unser Bauchgefühl, spüren, was unser Körper braucht und ein grundlegendes Vertrauen entwickeln, dass das Universum auf uns achtet und die Welt ein guter Ort ist, zu dem wir etwas beitragen können, damit die Welt sich zum Guten hin weiter entwickelt.

5. Absichtslosigkeit

Bei diesem Schritt geht es um einen Gemütszustand ohne Absichten, ohne Erwartungen, ohne Beurteilung und ohne Wünsche. Das Gegenteil davon ist Zielorientierung. Wir sind gewohnt, dass unsere Handlungen einen Zweck haben. Es steckt hinter all unseren Handlungen immer eine Absicht. Etwas zu tun, einfach so, weil es uns gefällt, ganz ohne Absicht, das kennen wir nicht. Im Beruf ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass wir Ziele haben, zielorientiert denken und vor allem führen müssen. Wer keine Ziele hat, beruflich und privat, ist suspekt. Dabei ist das Leben im Augenblick das Einzige, was uns wirklich gehört.

Das heißt nicht, dass wir uns treiben lassen, passiv werden, nichts mehr tun und unsere Familie nicht mehr ernähren. Dass wir dies tun, entspricht unseren inneren Werten. Es geht darum, eine absichtslose Haltung einzunehmen, ein aktives Nichts-Tun – nur einmal am Tag, zumindest für einen einzigen Moment, in dem wir auf dem Weg der Achtsamkeit gehen, unsere Ziele hintenan zu stellen. ,,Einfach“ da sein, im gegenwärtigen Augenblick, von Moment zu Moment, gleichgültig ob es langweilig oder aufregend ist, wir nervös oder gelangweilt sind. Präsent im gegenwärtigen Moment sein, ihn da sein lassen und ihn wahrnehmen, egal, wie er gerade ist. Und mal kein Ziel verfolgen. Wenn wir auf diesem Weg der Achtsamkeit gehen, dann werden sich Güte, Mitgefühl, Achtung vor dem Leben und dem Anderen von selbst entwickeln. Wir spüren auch, wann wir etwas zum Guten hin verändern können. Dafür brauchen wir kein Ziel, es reicht, das, was da ist, bewusst wahrzunehmen, weil darin die Botschaft liegt, die uns zum Handeln bewegt. Brauchen wir wirklich Ziele? Das Leben bewegt sich auf seine ganz eigene Art und macht uns oft einen Strich durch unsere Vorhaben. Wenn wir darauf gefasst sind, dann sind unsere Ziele das, was sie sein sollen: Leitsterne. Und keine festgefügten Punkte, die wir abarbeiten müssen.

6. Akzeptanz

Dieser Schritt ist mit der schwerste Schritt auf dem Weg der Achtsamkeit und einer der wichtigsten. Es geht darum, alles, was uns im Leben widerfährt, ob wir es als angenehm oder unangenehm bewerten (wobei wir nicht bewerten, wenn wir achtsam leben), zu akzeptieren. Wut, Freude, Liebe, Zorn, Enttäuschung, Angst, Kummer.

Das bedeutet gerade nicht, das, was uns belastet, zu verdrängen, zu verleugnen oder gut zu reden, sondern alles so anzunehmen, wie es ist, ohne es verändern zu wollen. Das Leben, die Menschen, die Ereignisse. Das fällt uns bei den für uns angenehmen Dingen viel leichter. Aber auch da fällt uns das Annehmen manchmal schwer, weil wir es vielleicht doch noch anders haben möchten, noch ein wenig mehr oder schöner. Akzeptanz können wir in kleinen Dingen üben, weil es der Königsweg ist, sein Schicksal anzunehmen, das manchmal hart zuschlagen kann.

Stellen wir uns vor, wir kommen am Bahnsteig an, der Zug, den wir nehmen wollten, schließt in diesem Moment die Türen. Wir stehen da, der Zug ist weg, da können wir nichts verändern. Aber anstatt es zu akzeptieren, ärgern wir uns und regen uns auf. Wir ärgern uns, dass wir nicht schneller waren, dass der Zugfahrer blöd ist, weil er uns gesehen haben muss, weil so viele uns im Weg rum standen und wir dadurch nicht schneller vorwärts kamen. Es sind unsere Gedanken, die die Situation bewerten und wir sind im Widerstand und es werden haufenweise Stresshormone ausgeschüttet. Das ist sowohl ungesund als auch sinnlos. Der Zug ist weg. Wenn wir das akzeptieren, breitet sich eine tiefe Ruhe in uns aus. Das Meeting findet ohne mich statt, geht auch. Ich nehme einen Zug später, geht auch. Die Welt dreht sich weiter, sie bleibt nicht stehen. Und „hätte“, „wenn“ und „wäre“ richten sich in die Vergangenheit, die wir nicht mehr ändern können. Uns gehört nur der Augenblick. Aber nicht nur wir regen uns auf. Jeder, der den Zug ebenfalls verpasst hat, telefoniert wild gestikulierend, schimpft und jammert. Es verändert aber nichts, denn dieser Zug ist abgefahren. Wir haben ihn nicht bekommen. Das ist alles. Nicht mehr. Wir verlieren so viel Energie dadurch, dass wir nicht annehmen, was ist. Wenn wir es akzeptieren, schenkt uns dieser Moment, wenn wir ihn in Ruhe annehmen und bewusst werden, eine Möglichkeit, uns hin zu setzen und zu lesen, uns die Menschen anzuschauen und zu merken, dass die Welt sich weiter dreht, Meetings vorbeigehen, auch wenn wir nicht dabei sind und Züge verpassen. Das alles könnten wir erfahren, wenn wir offen für den Moment und nicht gedanklich in der Zukunft oder in der Vergangenheit mit unserem Ärger verbunden wären. Unsere Unfähigkeit, zu akzeptieren, macht uns starr, nicht nur geistig, sondern auch körperlich. Wenn wir mit dem Fluss des Lebens fließen und wie eine Weide sind, die sich mit dem Sturm biegt und dadurch nicht bricht, dann können wir annehmen, was kommt, im Vertrauen darauf, dass alles im tiefsten Innern gut ist.

7. Loslassen

Der siebte Schritt ist eine der schwierigsten Lektionen im Leben und es ist etwas, das wir unser Leben lang lernen müssen. Meister werden wir darin nie werden, denn es fällt uns niemals leicht, etwas los zu lassen. Nicht mal schlechte Angewohnheiten. Vor allem die nicht.

Wir möchten das, was uns lieb ist, ob Dinge oder Menschen, nicht hergeben, also halten wir an ihnen fest. Es wäre uns auch am liebsten, wenn sie sich nicht verändern. Gegenstände sollen wie neu aussehen, unsere Partnerschaft immer prickelnd frisch und menschen immer so, wie wir es erwarten. denn auch Erwartungen lassen wir nicht gerne los. Wir können Loslassen nicht. Wir müssen es lernen. Wir dürfen es lernen auf dem Weg der Achtsamkeit.

Wir können loslassen:

  • Menschen, die wir lieben, weil wir sie lieben – im Vertrauen darauf, dass sie beschützt sind.
  • Dinge, weil das, was bleibt, keine Dinge sind und alles materielle uns nicht ausmacht.
  • Erwartungen, weil sie uns daran hindern, das zu nehmen, was kommt, egal, wie es kommt. Ohne Erwartungen erleben wir auch keine Ent-Täuschungen und da macht uns frei und den Anderen, weil wir den Anderen nicht mehr mit unseren Erwartungen einengen.
  • Meinungen, weil ich dann offen in, mich überzeugen zu lassen.

Es ist auch hier wichtig, ohne Wertung zu spüren, wo wir etwas oder jemanden nicht loslassen möchten. Wo spüre ich, dass ich etwas festhalten möchte? Wann halte ich besonders fest? An Erwartungen? An Meinungen? An Menschen?

Wenn wir lernen, los zu lassen, werden wir freier und leichter und eine tiefe innere Ruhe durchzieht unsere Seele.

Die Frage, wie wir die sieben Schritte in unser Leben integrieren können, ist der Schlüssel zur Lösung. Wir können das nur, in dem wir üben. Üben, üben, üben. Hinfallen, aufstehen, weiter machen und üben. Üben, immer wieder, jeden tag, geduldig mit uns selbst, voller Vertrauen und am besten mit einem freundlichen, staunenden und neugierigen Anfängergeist!

Was gut ist, um in der Übung zu bleiben und nicht wieder alles zu vergessen (denn unser Gehirn ist wie eine Langspielplatte, in der die Rillen am tiefsten sind, die am meisten gebraucht und benutzt werden; neue Rillen brauchen mindestens sechs Wochen Übung, bis sie neu eingeschliffen sind) ist das Führen eines Achtsamkeits-Tagebuches. Dort hinein können wir täglich unsere Gedanken, Reflexionen und unsere Gefühle aufschreiben. Es ist gut, wenn wir uns dabei auch auf diese Fragen konzentrieren: Was macht mich heute dankbar? Wo war ich bewusst still und habe nicht gewertet? Habe ich heute bewusst einen Moment lang auf meinen Atem geachtet? Was hat mir besonders gut getan? Worüber habe ich mich geärgert und was hat mich gestresst? Wo habe ich das angenommen, was war? So lernen wir, Stress wahrzunehmen und können ihn bewusster vermeiden. Dadurch können wir uns außerdem bewusst Auszeiten nehmen und lernen Achtsamkeit, in dem wir uns auf den Augenblick konzentrieren. Es tut gut, das Tagebuch täglich abzuschließen, mit fünf Dingen oder Ereignissen, über die wir uns an diesem Tag besonders gefreut haben.

Um im Augenblick anzukommen, hilft eine kleine Wahrnehmungsübung. Wir können dadurch, in dem wir uns auf unsere Sinne konzentrieren, störende Gedanken abschalten und entspannen. Das ist für Geist, Körper und Seele sehr wohltuend. Grundlage dieser und aller Übungen ist es, Gedanken, die sich in den Vordergrund drängen, ziehen zu lassen wie Wolken am Himmel, und sich nur auf das Da-Sein und die eigenen Sinne zu konzentrieren.

Sehen:

Was sehe ich in meiner Umgebung? In der Natur? Am Himmel? Kann ich genau beschreiben (ohne Wertung und Interpretation), was ich sehe? Könnte ich das, was ich sehe, einem blinden Menschen beschreiben?

Hören

Was hören ich gerade? Wie viele unterschiedliche Geräusche, Tonlagen, Melodien oder Stimmen erkenne ich? Kann ich genau beschreiben (ohne Wertung und Interpretation), was ich höre? Könnte ich das, was ich höre, einem hörgeschädigten Menschen beschreiben?

Riechen

Was riechen ich im Moment? Was rieche ich mit offenem Mund? Was mit geschlossenem Mund? Gibt es Unterscheide? Rieche ich mehr mit geschlossenen oder mit offenen Augen? Kann ich genau beschreiben (ohne Wertung und Interpretation), was ich rieche? Könnte ich den Geruch jemand Anderem genau beschreiben?

Fühlen

Was fühle ich im Moment? Wenn ich mit geschlossenen Augen mit meinem Daumen von links nach rechts über meine Oberlippe streiche – was spüre ich dabei? Wie empfinde ich die die Berührung? Spüre ich den Druck? Kann ich ihm genau nachspüren? Wenn ich kurz meine Lippen aufeinander presse und die Bewegung mit dem Daumen nun von rechts nach links ausführe – was fühle ich dann? Kann ich die Berührung anders beschreiben als zuvor? Kann ich genau beschreiben (ohne Wertung und Interpretation), was ich fühle und ertaste? Was ich fühle in mir? Könnte ich das, was ich fühle jemand Anderem genau beschreiben?

Achtsamkeit ist ein Weg des Nichturteilens, der vollen Präsenz im Hier und Jetzt und ein Weg hin zu mehr innerer Ruhe, Güte, Mitgefühl, Gesundheit und Akzeptanz. Es ist ein Weg, der sich lohnt und den wir jeden Tag neu beschreiten dürfen.

„Blicke über deine Gedanken hinaus und trinke den reinen Nektar dieses Augenblicks.“ Rumi

© Marion Schronen

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