Resilienz
Dieser Artikel führt in ein, wie ich finde, sehr wichtiges Thema ein. Da es sehr gute Bücher über Resilienz gibt, soll dieser Artikel nur ein erster Impuls und eine Anregung sein, tiefer in das Thema einzusteigen.
Wenn wir als Kind eine einzige Bezugsperson hatten, die immer da war, die uns unterstützt und von Herzen geliebt hat, haben wir den Boden für Resilienz gelegt. Darauf baut alles auf! Das bedeutet jedoch nicht, dass, wer das nicht erfahren hat, nicht resilient werden kann. Resilienz kann man lernen. Man kann nachreifen. Das ist weitaus schwieriger, aber durchaus machbar.
Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandskraft, die Fähigkeit, Schwierigkeiten und belastende Situationen im Leben ohne anhaltende Beeinträchtigung zu bewältigen und trotz Belastungen gesund zu bleiben, mental und emotional. Resilienz meint die Kompetenz, Krisen oder verletzende Erfahrungen bestehen zu können und vielleicht sogar daran zu wachsen. Resiliente Menschen können Krankheiten oder auch Unfälle und Schicksale als Chance wahrnehmen, nach der Trauer, die sie auch durchleben. Sie verzweifeln nicht existentiell daran oder hadern mit ihrem Schicksal. Sie wirken wie ein Stehaufmännchen, das dem Druck nachgibt und sich nach dem Fallen wieder aufrichtet, anstatt zu zerbrechen.
Der Resilienzbegriff kommt aus der Materialforschung und bezeichnete dort ursprünglich die Eigenschaft eines (elastischen) Materials nach dem Druck durch äußere Kräfte wieder in die ursprüngliche Form zurück zu kehren (Bsp. Gummiball, Schwamm).
Im Leben ist es natürlich so, dass wir nach einer Krise nicht mehr in unsere ursprüngliche Form zurück kehren, denn die Krise macht etwas mit uns, sie formt uns und möchte, dass wir uns verändern. Entwicklung geschieht meist nur über Veränderung. Und somit ist Resilienz die Fähigkeit, das anzunehmen, was mir begegnet und daran zu wachsen.
Resilienz ist das seelische Immunsystem. Das Gegenteil von Resilienz ist anhaltendes „Verwundet sein.“
Es gibt bei jedem Menschen Risikofaktoren und auch Ressourcen und Schutzfaktoren für die Seele. Diese sind höchst individuell und durch die Biographie hindurch entwickelt worden. Es ist gut und wichtig , dass wir unsere Risikofaktoren, also unsere wunden Punkte und verletzten Stellen kennen. Dann können wir sie schützen und umsorgen, so dass sie weniger wund werden. Genau so wichtig ist, es unsere Ressourcen zu kennen, unsere Stärken, das, worin wir gut sind, was wir können, wozu wir fähig sind. Es hilft sehr, an seine Kraft zu glauben, auch dann, wenn sie gerade nicht sicht- und spürbar ist. Sie wohnt in uns allen, und wir sind alle so viel mehr, so viel stärker, liebender und liebenswerter, als wir glauben!
Alles, was uns schützt und unsere Gesundheit fördert, körperlich, seelisch, persönlich und sozial, sind unsere Ressourcen. Sie erleichtern uns die Bewältigung von Krisen und schwierigen Situationen. Eine gute Konstitution schützt uns und erhält uns in Zeiten der Krankheit. Seelische Kräfte schützen uns bei emotionalen Verletzungen und Krisen und helfen uns, mit einer inneren Ruhe alles anzunehmen, was uns begegnet, die Botschaft darin hören zu können und innerlich Wandel zuzulassen. Wenn wir gute soziale Beziehungen haben, müssen wir nicht alles alleine durchstehen, sondern können auf die Hilfe und das „Aufgefangen werden“ vertrauen.
Ressourcen sind unter anderem :
- Gute körperliche Verfassung
- Seelische Gesundheit
- Mentale Stärke
- Innere Ruhe
- Annahme und Akzeptanz
- Grunderfahrung von Geliebt- und Akzeptiertwerden in der Kindheit
- Mitgefühl
- Selbstwertgefühl
- Gute Freunde
- Soziales Netzwerk und Eingebunden-Sein
- Eine gute Partnerschaft
- Gut kommunizieren zu können
- Offenheit, sich einlassen können auf Neues
- Neugier
- Kraftorte haben
- Zuversicht
- Achtsamkeit
- Frühe Erfahrung von Geborgenheit
- Dauerhafte, gute Beziehung zu mindestens einer (unterstützenden) Bezugsperson
- Verzeihen können
- Gefühl von Sicherheit (materiell, seelisch, sozial)
- Humor
- Gute Kommunikationsfähigkeiten
- Lieben können
- Gute Ernährungsweise
- Selbstfürsorge
- Aktiv für Stressbewältigung sorgen
- Soziale Kompetenz
- Emotionale Kompetenz (eigene Gefühle wahrnehmen, sie ausdrücken und regulieren können)
- Selbstbestimmung
- Balance zwischen Autonomie und Bindung, Nähe und Distanz
- Eigene Interessen
- Positives Körperbild
- Selbstvertrauen
- Sinn im Leben haben
- Spiritualität
- Gelassenheit und innere Ruhe
- Bereitschaft, Probleme zu sehen und zu lösen
- Fair streiten können
- Balance zwischen Arbeit und Freizeit (Work-Life-Balance),
- Um Unterstützung bitten können
Unsere Ressourcen sind notwendig, weil sie unsere Schwächen, wunden Punkte und Verletzlichkeiten abfedern können. Sie erhalten uns gesund und helfen uns, Krisen zu meistern. Wir können Ressourcen lebenslang erwerben. An schwierigen Kindheitserfahrungen können wir nichts ändern, aber wir können sie aufarbeiten und heilen – und somit kraftvoller werden (siehe auch Inneres Kind, Kränkung, Konflikte und Charakterstrukturen).
Risikofaktoren sind die Faktoren, die wir generell als unsere wunden Punkte kennen. Das sind unsere Schwächen, aber auch alles, was das Leben für uns bereit hält: Krankheiten, Abschiede, Stress – alles das sind Risikofaktoren, die, wenn sie zusätzlich auf unsere Schwächen und wunden Punkte treffen, doppelt und dreifach verstärkt werden. Wenn wir dann keine Ressourcen dagegen setzen können (siehe oben), dann werden wir weiter verwundet und die Krise nicht gut bestehen.
Risikofaktoren sind unter anderem:
- Stimmungen und Launen
- Krankheit
- Ständige Konflikte und/oder kranke Beziehungsmuster in der Ursprungs-Familie (unsichere Bindung)
- Soziale Isolation, keine Freunde
- Einsamkeit
- Armut
- Hohe Kränkbarkeit
- Negative (und traumatische) Erfahrungen in der (frühen) Kindheit (Vernachlässigung, Misshandlung seelisch und/oder körperlich, Missbrauch)
- Sogenannte „Life events“ (das sind sowohl positive als auch negative einschneidende Veränderungen im Leben (u.a. Umzug, Geburt eines Kindes, Renteneintritt)
- Streit, verletzende und ständige Konflikte
- Sogenannten „daily hassles“ (das sind alltägliche Unannehmlichkeiten/Ärgernisse, die für sich genommen klein sind und erst in der Summe eine Belastung darstellen)
- Überforderung (beruflich und familiär)
- Unterforderung
- Familiäre Häufung von psychischen Erkrankungen
- Gewalterfahrungen
- Krieg
- Dauerhafter Stress
Es gibt 7 Resilienz-Stützen, die unser Haus der Persönlichkeit tragen. Sie sind als Haltung gemeint, nicht als Techniken oder kurzfristige Instrumente zur Bewältigung von Krisen. Nur wer diese 7 Stützen unter sein Haus baut, und sie somit als Haltung übernimmt, hat ein stabiles Fundament.
Über allem steht als wichtiges Einüben eine stetige Selbstreflexion. Wer sich und seine Handlungen gut wahrnehmen (Selbstwahrnehmung, die man von Zeit zu Zeit mit der Fremdwahrnehmung abstimmen und überprüfen sollte) und reflektieren kann, wächst und entwickelt sich und kann an sich und seinem Leben das verändern, was den eigenen Werten besser entspricht. Dadurch werden die seelischen Abwehrkräfte gestärkt.
- Optimismus; Das Gute sehen, Chancen in Krisen wahrnehmen
- Akzeptanz und Annahme: Das annehmen, was ist und nicht in den Widerstand gehen, wenn es ḱeine Aussicht auf Veränderung gibt.
- Lösungsorientierung anstatt Problemfokussierung (Frage nach dem „Wozu“, nicht nach dem „Warum)
- Schöpfer sein (Verlassen der Opferrolle!) und sich so als (selbst-)wirksam erleben
- Verantwortung übernehmen anstatt die Schuld bei Anderen zu suchen; Selbstwertgefühl entwickeln, damit man auch zu seinen Fehlern stehen kann
- Zukunftsorientierung statt Vergangenheitsfokussierung; das heißt nicht, dass man nicht mehr im Hier und Jetzt ist (Achtsamkeit ist ein wichtiger Resilienzfaktor!), es heißt, dass man erkannt hat, dass man an der Vergangenheit nichts mehr verändern kann und darauf achtet, wohin man sich entwickeln möchte.
- Offenheit, Kontaktfreude, Netzwerke knüpfen und Bindungen eingehen können.
Diese 7 Säulen werden von verschiedenen Autoren verschieden benannt. In ihren Grundzügen sind immer die gleichen Dinge gemeint.
Wenn wir die Risikofaktoren, die wir beeinflussen können, minimieren und unsere Schutzfaktoren erweitern und immer intensiver entwickeln, dann sind wir in Krisen ruhiger und gelassener und können das annehmen, was ist und was das Leben uns bringt, ohne in Widerstand zu gehen. Es ist stärkend, wenn wir uns in der Akzeptanz üben und uns bewusst sind, dass wir über eine große innere Stärke verfügen und auch um Unterstützung bitten können, wenn wir es alleine nicht tragen können.
Wenn wir uns von dem, was uns begegnet, formen lassen, die Botschaft annehmen, die uns durch Situationen, Krisen und Erlebnisse gegeben werden und uns vertrauensvoll hingeben können, das ändern, was wir ändern können und das annehmen, was nicht in unseren Händen liegt, spüren wir eine tiefe innere Ruhe. Diese wiederum ist einer der größten Schutzfaktoren für unser Leben.
© Marion Schronen