Grundhaltung: „Helfen“ oder „Hilfreich sein“

Grundhaltung: „Helfen“ oder „Hilfreich sein“

Es gibt einen großen Unterschied zwischen „helfen“ und „hilfreich sein“.

Um Hilfe muss ein Mensch bitten, bevor ich aktiv werde. Was ich einem anderen Menschen ungefragt anbiete, ohne dass er klar darum gebeten hat, hat immer mit der Erfüllung meiner eigenen Bedürfnisse zu tun, nicht mit den Bedürfnissen des Anderen. Das muss genauestens bedacht und klar unterschieden werden.

Wir alle haben einen Ort in uns, an dem wir tätig werden können. Es gibt eine Theorie, die diesen Ort „Locus of control“ nennt. Diesen Ort der Kontrolle trägt jeder Mensch in sich, und nur dort können wir etwas verändern. Dieser Ort begrenzt unser Veränderungspotential und heißt übersetzt: Wir können immer nur uns selbst ändern, sonst niemanden!

Und wir dürfen auch nur uns selbst ändern. Jeder geht seinen eigenen Weg. Es gibt natürlich einen Ort in jedem Menschen, an dem wir Impulse annehmen und auch geben können. Ich selbst entscheide, ob ich die Impulse aus einem Buch, Text oder Gespräch annehme. Und auch der Andere kann diese Impulse annehmen oder zurück weisen. Dies wiederum liegt in dem Ort der Kontrolle des Anderen. Wenn wir darum wissen, dann helfen wir nicht verbissen oder sind enttäuscht, wenn der Andere nach unserer Hilfe wieder an demselben Punkt ankommt, von dem aus wir ihm geholfen haben. Wer sich nicht verändern möchte, den können wir auch nicht dazu bewegen. Und wer nicht nach Hilfe bittet, dem sollen wir nicht helfen.

Hilfreich sind wir nur dann, wenn wir darum gebeten werden, von uns zu erzählen oder etwas zu tun. Das können wir dann tun. Ob der Andere es annimmt, ist seine Entscheidung. Das klingt logisch. Wir handeln aber selten danach. Gerade in den helfenden Berufen ist es wichtig, das genau und immer wieder zu reflektieren.

Es geht mir hier natürlich nur um die innere Entwicklung. Wenn uns jemand fragt, ob wir ihm beim Umzug helfen können und wir das tun, ist die Sache recht unkompliziert, und der Andere wird uns als hilfreich erleben (zumindest wenn wir nichts Erwähnenswertes oder Kostbares dabei zerstören). Dann ist „Helfen“ und „Hilfreich sein“ ein und dasselbe.

Es geht mir hier um die innere und persönliche Entwicklung eines Menschen. Wenn ein Mensch jammert und sich ständig über alles beklagt – und wir versuchen, ihm zu helfen und merken, es nutzt nichts, er beklagt sich weiterhin über alles, dann macht sein Jammern und Klagen einen Sinn für ihn. Er nimmt sich dadurch Zuwendung und erhält Aufmerksamkeit. Wir können entscheiden, ob wir diesem Menschen weiterhin unsere Aufmerksamkeit schenken möchten. Wenn wir das möchten und ihn anhören können, ohne Impuls, ihn aus dem Jammertal herauszuziehen und zu „befreien“, dann können wir mit Anteilnahme und ohne allzu große innere Regung zuhören. So lange, wie es uns leicht fällt und nicht selbst herunterzieht.

Es gibt einen schönen Text von Jeff Foster, zeitgenössischer spiritueller Philosph, den ich ein wenig bearbeitet habe und der sehr gut ausdrückt, was „Helfen oder hilfreich sein“ meint.

Du kannst niemanden retten. Du kannst mit ihm präsent sein, du kannst deine eigene Erdung anbieten, wenn du sie hast, deine Gesundheit und deinen Frieden, wenn er in dir ist. Du kannst sogar deinen Weg mit dem Anderen teilen und deine Perspektive aufzeigen. Mehr nicht.
Du kannst einem Anderen nicht den Schmerz nehmen. Den muss er selbst durchleiden. Du kannst aber an seiner Seite sein, wenn er dich darum bittet. Du kannst seinen Weg nicht für ihn gehen. Du kannst keine Antworten geben, die für den Anderen richtig sind, vielleicht sind es Antworten, die der Andere gerade nicht verdauen kann. Du kannst immer nur deine Antworten geben, die zu dir passen, zu deinem Weg und zu deinem Leben. Der Andere muss seine ureigenen Antworten selbst finden, die eigenen Fragen fragen oder verlieren. Der Andere muss sich mit seiner eigenen Unsicherheit anfreunden, die eigenen Fehler machen, die eigenen Sorgen spüren und die eigenen Lektionen lernen.
Wer wirklich im inneren Frieden sein möchte, muss dem Weg vertrauen, der sich vor ihm auftut, Schritt für Schritt. Aber du kannst nur für dich vertrauen und dich heilen und niemand anderen. Wenn du zu sehr helfen willst, verliert ein Anderer möglicherweise seinen eigenen, einzigartigen Pfad. Dein Weg ist nicht der Weg des Anderen, es ist deiner.
Du hast den Schmerz, den der andere spürt, nicht erschaffen. Du hast vielleicht etwas getan oder nicht getan, gesagt oder nicht gesagt, Schmerz aufgedeckt, der bereits in ihm war. Aber du hast ihn nicht erschaffen, du bist nicht schuldig, auch nicht, wenn dich der Andere beschuldigt. Du kannst die Verantwortung für deine Worte übernehmen und um Verzeihung bitten, du kannst auch über die Vergangenheit klagen, aber du kannst nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Und du kannst auch nicht die Zukunft kontrollieren. Du kannst einem Anderen nur im Hier und Jetzt begegnen, dem einzigen Platz, dem Kraft innewohnt.
Versuche niemals, jemandem zu helfen, wenn er nicht bereit dafür ist. Bis er nach Hilfe fragt, bis seine Bereitschaft zum Zuhören, Empfangen und Aufgeben alter Muster da ist, wird dein Bestreben zu helfen immer als Manipulation und Kontrolle wahrgenommen werden. Das Problem des Anderen ist sein Thema, es ist nicht dein Problem oder dein Bedürfnis, um das es geht, es ist seins. Es werden sich dadurch manchmal Positionen verhärten und am Schluss fühlst du dich vielleicht frustriert oder überlegen oder auch machtlos, und die Rollen „Opfer“ und „Retter“ werden euch voneinander entfernen.

Wie ist man hilfreich? Es ist wichtig, den Anderen zu lassen, wie er ist und ihn anzunehmen, wie er sein möchte. Begegne dem Anderen dort, wo er sich zu dem Zeitpunkt befindet. Lass deine Erwartungen oder Vorstellungen über seine (sofortige) Heilung los. Sei gelassen und geduldig. Erkenne das gegenwärtiges Erleben des Anderen an. Versuche nicht, dem Anderen deine eigenen Ansichten aufzudrängen oder zu sagen, was für ihn das Beste ist. Du weißt nicht, was das Beste für einen Anderen ist. Vielleicht ist der Andere stärker, intelligenter oder einfallsreicher und kennt mehr Möglichkeiten, als du es dir jemals vorstellen kannst. Und vielleicht ist es jetzt gerade das Beste für ihn, deine Hilfe nicht zu wollen oder zu brauchen! Vielleicht muss er erst einmal mehr leiden oder kämpfen. Vielleicht richtet sich der Andere von alleine auf und heilt sich auf seine ganz eigene Art. Vielleicht ist das, was dieser Moment verlangt, Vertrauen, aufrichtiges Zuhören und ein tiefer Respekt dafür, wo auf seiner Reise sich der Andere gerade befindet. Vielleicht versuchst du nur, dir selbst zu helfen.

Möglicherweise kommt wahre Veränderung nicht daher, einem Anderen Veränderung aufzudrängen, sondern daher, sich daran auszurichten, wo er sich jetzt gerade befindet, all die kreative Intelligenz des Momentes zu befreien, seinen einzigartigen Weg zu ehren und seinen geheimnisvollen Prozess der Heilung. Wenn du versuchst, jemanden zu verändern, vermittelst du ihm, dass er so wie er ist, nicht in Ordnung ist und dass du diese gegenwärtige Erfahrung zurückweist und sie dir anders wünschst. Möglicherweise vermittelst du sogar, dass du ihn nicht liebst, weil er so ist, wie er ist und sich da befindet, wo er gerade steht. Wenn du damit aufhörst, den Anderen verändern zu wollen und dich dem Leben so hingibst, wie es sich zeigt, erst dann ist Veränderung möglich. Wenn du aufhörst damit, einen Anderen ändern zu wollen, wird er sich auf seine eigene Art verändern, in der eigenen Geschwindigkeit. Aber erwarte die Veränderung nicht. Dann bist du hilfreich.

Du bist am hilfreichsten, wenn du der Veränderung Raum gibst. Mehr nicht. Da sein, Zuhören, Raum geben und dem Anderen zeigen, dass er da steht, wo er jetzt steht und dann los gehen kann, wenn er es möchte. Oder nicht. Dann ist es auch gut.

© Marion Schronen

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