Lauschen und Zuhören
Für eine achtsame und friedvolle Kommunikation ist das Zuhören der wichtigste Baustein. Manchmal glauben wir, es sei wichtiger, zu reden und dem Anderen zu raten, wenn er uns fragt. Wenn wir ihm jedoch wirklich zuhören und auf ihn lauschen, dann kann er auf seine eigene innere Stimme hören und seine eigene Lösung finden.
So zuhören, wie Momo es konnte, das ist eine große Kunst:
„Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanke kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören!“
Michael Ende, Momo
Eigentlich müsste ich diesen Worten nun keine mehr hinzufügen,denn wenn wir alle wären wie Momo und sie als unseren Leitstern nähmen, dann wären wir alle Meister im Zuhören. Und dennoch möchte ich ein wenig was hinzufügen, was mir persönlich zum Lauschen und Hören wichtig ist.
Wir haben nur einen Mund, aber zwei Ohren, damit uns klar wird, dass wir doppelt so viel zuhören sollten als reden! Und wenn wir uns fragen, ob das, was wir zu sagen haben, besser ist als Schweigen, dann sind wir sicher öfter still und lauschen mehr. Lauschen mehr auf unsere innere Stimme, auf die Natur, auf den Anderen, der mit uns spricht und auf das, was er nur zwischen den Worten oder mit seiner Körpersprache sagt.
Hören, hin-hören, zuhören, lauschen. Es gibt viele Worte, die das Eigentliche des Zuhörens benennen: Hin-hören heißt Hin-wendung zum Anderen. Lauschen meint besonders still werden, innerlich und äußerlich, um zu lauschen auf das, was der Andere sagt und besonders auf das, was er nicht sagt. Lauschen meint aufmerksam zuhören. Mit der ganzen Aufmerksamkeit beim Hören sein, aufmerksam auf die eigene innere Stimme, auf den Anderen. Aufmerksamkeit ist der Schlüssel. Energie folgt der Aufmerksamkeit und somit hat aufmerksames Hinhören und Lauschen sehr viel mit Präsenz zu tun.
In einer Befragung kam heraus, was für ein gutes Gespräch wichtig ist. Nach Vertrauen (81%) kam direkt das Zuhören (80%) und Ehrlichkeit (78%). Wer zuhört und ehrlich ist, baut Vertrauen auf. Und diese drei sind unerlässlich für ein achtsames und gutes Gespräch.
„Eine der Gründe, warum man in der Konversation so selten verständige und angenehme Partner findet, ist, dass kaum jemanden gibt, der nicht lieber an das dächte, was er sagen will, als genau auf das zu antworten, was man zu ihm sagt. Die Feinsten und Gefälligsten begnügen sich damit, während man es ihrem Auge und Ausdruck ansehen kann, dass ihre Gedanken nicht bei unserer Rede sind, sondern sich eifrig mit dem beschäftigen, was sie sagen wollen. Sie sollten bedenken, dass es ein schlechtes Mittel ist, anderen zu gefallen oder sie zu gewinnen, wenn man sich selbst so sehr zu gefallen sucht, und dass die Kunst, gut zuzuhören und treffend zu antworten, die allerhöchste ist, die man im Gespräch zeigen kann.“ François de La Rochefoucauld
Um gut zuhören zu können, ist es wichtig:
- Dass ich bereit dafür bin, zuzuhören. Ich muss in mir eine Bereitschaft spüren. Wenn ich das nicht kann, weil mich etwas Wichtiges innerlich beschäftigt und besetzt, ist es besser, ein wichtiges Gespräch zu vertagen. Weil ich nicht zum Zuhören bereit bin.
- Dass wir nicht in Gedanken abschweifen, sondern mit unserer ganzen Aufmerksamkeit bei dem Anderen sind, ohne uns aus den Augen zu verlieren. Wenn wir uns gut mit uns verbinden, können wir ganz bei dem Anderen sein.
- Dass wir das sagen, was wir denken und fühlen. Der Andere spürt, wenn wir unaufrichtig sind. Und dadurch öffnen wir dem Anderen den Raum, damit er sich traut, das zu sagen, was er denkt und fühlt. Dann erst können wir zuhören, weil wir den offenen Raum dafür kreiert haben.
- Dass wir uns bewusst sind, dass Zuhören für ein Gespräch wichtiger ist als Reden. Wenn wir reden, hören wir nur das, was wir schon kennen. Wenn wir zuhören, lernen wir etwas Neues und den Anderen näher kennen.
- Dass ich den Anderen anschaue, ihn wahrnehme, ihn ernstnehme.
- Dass ich nicht nebenbei andere Dinge erledige. Mit einem Anderen sprechen und nebenbei eine SMS beantworten, hat mit Zuhören und Lauschen soviel zu tun, wie ein Fisch mit Fahrradfahren.
- Dass ich höre, was der Andere wirklich sagt und nicht interpretiere. Wenn ich bewerte und interpretiere, was der Andere sagt, lege ich meine eigene Bedeutung in die gehörten Worte – und achte nicht auf die Bedeutung, die der Andere diesen gesprochenen Worten gibt. Aber die alleine sind bedeutsam, wenn er spricht und ich darauf höre.
- Dass ich darum weiß, dass Zuhören nicht bedeutet, alles gut zu finden, was der Andere sagt. Es bedeutet, dass ich mich einlasse auf die Sicht des Anderen und meinen eigenen Standort und meine Werte kenne und sie vertrete, ohne den Anderen klein zu machen. Meine Größe hängt nicht davon ab, ob ich den Anderen klein mache. Ganz im Gegenteil.
- Dass ich geduldig bin. Zuhören erfordert Energie und Geduld. Das heißt nicht, dass ich zwei Stunden Redeschwall über mich ergehen lassen muss, nur weil der Andere ein Opfer in mir gefunden hat, um sich selbst darzustellen. Dann darf ich auf meine innere Stimme hören, mich schützen und das „Gespräch“, weil einseitig, beenden. Nur wer innere Not verspürt, echte innere Not, kann reden. Dann ist es jedoch meist so, dass solch ein Mensch auch zu hört.
- Dass ich empathisch bin und mich in die Gefühle des Anderen hinein fühlen kann. Dabei ist es jedoch wichtig, dass ich meine Seele abgrenze, damit ich nicht verschwimme mit dem Anderen und mit leide. Mitgefühl heißt wahrnehmen und mit empfinden, aber nicht mit leiden! Es ist dabei auch wichtig, auf meine eigenen Gefühle zu achten. Wenn es mich überfordert, was der andere erzählt, muss ich das sagen und an jemanden verweisen, der professionell unterstützen kann.
- Dass ich Zeit habe. Zuhören erfordert Zeit und Zeitdruck lässt wenig Raum für Öffnung. Wenn ich unter Zeitdruck stehe, kann ich nicht richtig zuhören, weil ich gedanklich woanders bin, meist schon da, wo ich nach dem Gespräch sein werde, in einem anderen Termin. Dann muss ich das klar sagen, dass ich gerade gedanklich nicht präsent bin und das Gespräch verschieben, wenn das möglich ist vom Thema her, bis ich ohne Zeitdruck wirklich zuhören kann.
- Dass wir uns nicht rechtfertigen in einem Kritik Gespräch. Zuhören heißt, bis zum Ende zuhören und annehmen, was darin an Botschaft lag. Ungerechtfertigte Vorwürfe muss niemand annehmen, aber auch die müssen wir bis zum Ende anhören, um entgegnen zu können. Wenn die Kritik jedoch wohlwollend ist, bedeutet Lauschen auch auf die Wahrheit darin hören und sie in sich sacken zu lassen.
- Dass wir spüren, dass Reden alleine und jemanden zu haben, der zuhört, schon oft die Lösung ist. Manchmal hilft es einfach, sich etwas von der Seele zu reden bei jemandem, der wirklich zuhört (wie Momo) – und es löst sich etwas. Das haben wir alle schon erlebt. Wenn uns jemand wirklich zugehört hat.
- Dass wir nicht ablenken, verleugnen oder verharmlosen. Wenn uns jemand etwas erzählt, das ihn bedrückt und wir sagen: „Das geht vorbei. Ja, so schlimm ist das doch nicht. Komm, wir essen mal was, dann geht das wieder!“, dann wird sich der Andere nicht nur nicht verstanden fühlen sondern nicht ernst genommen. Und er wird sicher zukünftig andere Menschen für ein Gespräch suchen. Zuhören heißt, ernst nehmen, was der Andere sagt. Er sagt das, weil er das fühlt, sonst würde er es nicht sagen. Und das muss ernst genommen werden, wenn ich es ernst meine mit Lauschen und Zuhören!
- Dass wir mit unserer ganzen Aufmerksamkeit und Konzentration dabei sind, keine störenden Geräuschkulissen oder Ablenkungen wie Telefonklingeln haben. Es zeigt Respekt und Wertschätzung, wenn wir das Telefon stumm stellen, während wir zuhören.
- Dass ich eher Fragen stelle als zu kommentieren. Durch Kommentare stelle ich nur meine Sicht der Dinge dar. Durch Fragen kommt der Andere sich selbst näher und findet in sich selbst die Lösung.
- Dass ich nicht darauf warte, selbst etwas zu sagen, während der Andere noch redet. Wenn ich innerlich damit beschäftigt bin, an meiner Antwort zu bauen, höre ich nicht wirklich, was der Andere sagt, sondern bin nur bei mir selbst und nicht bei dem Anderen. Das ist das Gegenteil von Hinhören, Zuhören und Lauschen.
- Dass ich nachfrage und ehrlich interessiert bin an dem, was der Andere sagt.
Zuhören ist also viel mehr eine Haltung als Verhalten!
„Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart. Der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht. Das notwendigste Werk ist stets die Liebe.“ Meister Eckhart
Wenn wir uns selbst beobachten, können wir spüren, was das Hören für uns selbst bedeutet:
- Was bedeutet Zuhören für mich?
- Wie fühle ich mich in der Gegenwart eines Menschen, der mir zuhört?
- Wie fühle ich mich in der Gegenwart eines Menschen, der nur redet?
- Was wünsche ich mir von einem guten Gesprächspartner?
- Was bleibt mir in Erinnerung von einem guten Gespräch?
- Wann kann ich in einem Gespräch auf meine innere Stimme hören?
- Wann höre ich zu? Warum?
- Wann höre ich nicht zu? Warum?
- Gibt es Menschen, denen ich gerne zuhöre?
- Gibt es Menschen, denen ich nicht zuhören kann? Warum?
Zuhören ist das Wichtigste bei einem Gespräch. Und Zuhören ist eine Haltung, die sich entwickeln kann. Mehr noch als eine Haltung ist sie eine Art des Seins.
„Zu reden ist uns ein Bedürfnis, zuzuhören ist eine Kunst.“ Johann Wolfgang von Goethe
© Marion Schronen